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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ihnen nicht gestatteten, sie einzusetzen. Den Frauen, die sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen, stehen nur zwei Wege offen. Sie können tun, was so viele Malerinnen und Komponistinnen der Renaissance taten, nämlich ihre Arbeiten unter dem Namen ihres Bruders oder ihres Vaters veröffentlichen… Oder aber, sie taten es dem Armeechirurgen Barry gleich, der sich hier in England als Mann ausgab. Wie sie es fertig gebracht hat, das alltägliche Leben zu meistern, weiß ich nicht. Aber sie hat es geschafft. Manch einer mag ihr Geheimnis gekannt haben, aber die Behörden haben erst nach ihrem Tod davon erfahren. Und sie galt als einer der besten Chirurgen überhaupt, als Pionier der Medizin. Keelin sprach oft von ihr…« Er konnte das Zittern in seiner Stimme nicht länger verbergen. »Sie war voller Bewunderung für Barrys Mut und ihre ungeheure Begabung und voller Zorn darüber, dass diese Frau, seit sie erwachsen war, ihr Geschlecht verbergen musste, dass sie die eine Hälfte ihres Wesens leugnen musste, um die andere ausleben zu können. Wenn sie uns Männer manchmal dafür hasste, denke ich, haben wir es verdient.«
    McKeever sah ihn an. Er hatte die Lippen ganz leicht geschürzt und senkte den Kopf, wie um zu nicken.
    Rathbone fühlte sich selbst zutiefst betroffen. Er war Teil der etablierten Gesellschaft. Er musste an eine andere Frau denken , eine Frau, die Medizin studieren wollte und auf den Schlachtfeldern der Krim bewiesen hatte, dass sie dazu in der Lage war, der aber auf Grund ihres Geschlechts dieser Weg versperrt geblieben war. Auch dieser Fall hatte mit einer Tragödie geendet.
    Die Geschworenen fühlten sich unbehaglich. Ein älterer Mann stieß schnaubend die Luft aus. Er wusste nicht, was er von all dem halten sollte, nur dass es zutiefst unerfreulich war und ihm missfiel. Er war hierher gekommen, um ein Urteil über andere zu fällen, nicht, um selbst beurteilt zu werden.
    Ein anderer Geschworener hatte die Stirn gerunzelt, als bereiteten seine eigenen Überlegungen ihm Kummer. Er schien tiefes Mitleid zu emp finden.
    Zwei weitere Männer sahen einander an, wie um moralische Unterstützung zu erheischen.
    Ein Vierter schüttelte den Kopf und biss sich auf die Lippen.
    »Vielen Dank, Mr. Wolff«, sagte McKeever leise. »Ich glaube, Sie haben uns die Angelegenheit hinreic hend erklärt. Das war sehr freundlich von Ihnen. Es kann weder einfach noch angenehm für Sie gewesen sein, aber ich glaube, Sie haben uns damit einen großen Dienst erwiesen, und vielleicht haben Sie Keelin Melville dadurch ein gewisses Maß an Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn auch zu spät. Ich habe keine Fragen mehr. Sie können den Zeugenstand verlassen.«
    Als er den Gerichtssaal verließ, hörte Rathbone draußen im Korridor eilige Schritte hinter sich und drehte sich um. Barton Lambert war ihm gefolgt.
    »Sir Oliver!« Er war außer Atem und schien äußerst erregt zu sein. Er hielt Rathbone am Arm fest.
    »Ja, Mr. Lambert«, sagte Rathbone kalt. Er hatte nichts gegen den Mann - tatsächlich hielt er ihn sowohl für ehrlich als auch für tolerant -, aber in seinem Innern kämpften Zorn und Verwirrung und nicht geringe Schuldgefühle miteinander. Er wollte im Augenblick zu niemandem höflich sein müssen, schon gar nicht zu jemandem, der Anteil an dieser Tragödie hatte und wahrscheinlich sein eigenes Gewissen entlasten wollte.
    »Seit wann - seit wann wussten Sie es?«, fragte Lambert mit ernstem, gefurchtem Gesicht und drängendem Blick. »Ich hätte nie - ich…« Er brach ab.
    »Ich habe es im selben Augenblick erfahren wie Sie, Mr. Lambert«, erwiderte Rathbone. »Vielleicht hätte ich es erraten sollen, statt zu vermuten, dass die Beziehung zu Wolff von unmoralischer oder ungesetzlicher Natur war. Vielleicht hätten Sie es ebenfalls erraten müssen. Und jetzt ist es zu spät, um wieder gutzumachen, was wir zerstört haben.«
    Keiner der beiden Männer nahm die anderen Personen im Korridor wahr.
    »Wenn sie mir doch nur die Wahrheit gesagt hätte!«, protestierte Lambert und hob die Hände zu einer hilflosen Geste.
    »Wenn sie uns doch nur vertraut hätte!«
    »Und was hätten Sie dann getan?«, fragte Ra thbone mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Ich… nun, um Gottes willen, ich hätte sie doch nicht vor Gericht gebracht!«
    Rathbone stieß ein Lachen aus, das überraschend bitter klang.
    »Natürlich hätten Sie das nicht! Sie hätten wie ein Narr dagestanden! Sie wären ein Narr gewesen! Aber wenn sie

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