Tödliche Täuschung
sicher, glaubte aber, dass sie zitterte. Das war es, was sie gewollt hatte, was sie beabsichtigt hatte, als sie Perdita provozierte… zumindest vermutete er das. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass die Worte der anderen Frau ihr wehtaten. Es lag zu viel Wahrheit in ihnen, und doch waren sie gleichzeitig auch falsch.
»Sie lassen Ihrem Zorn zu sehr die Zügel schießen, Mrs.
Sheldon«, sagte er mit leiser, beherrschter Stimme. »Und Sie wissen nicht, wovon Sie reden. Sie wissen nichts über Miss Latterly, abgesehen von dem, was Sie in diesem Haus erlebt haben. Es gibt unterschiedliche Männer und unterschiedliche Arten von Liebe. Manchmal sehnen wir uns nach einem sanftmütigen und anschmiegsamen Wesen, das unsere Eitelkeit befriedigt und an unseren Lippen hängt.« Er holte tief Luft.
»Und dann werden wir plötzlich mit einer härteren Realität des Lebens konfrontiert und mit einer Frau, die Mut und Intelligenz besitzt und uns auf gleicher Ebene begegnet, und dann entdecken wir, dass die Freude darüber die Unannehmlichkeiten und Ärgernisse bei weitem überwiegt.« Er sah sie unerbitterlich an. »Sie müssen das Beste geben, was Sie in sich haben, Mrs. Sheldon, aber Sie haben keinen Grund und kein Recht, jemanden zu kränken, den Sie nicht kennen. Miss Latterly mag nicht von vielen Menschen geliebt werden, aber sie wird sehr aufrichtig geliebt, aufrichtiger, als die meisten Frauen es sich erhoffen können.«
Brennende Röte überzog Perditas Gesicht. Sie war wütend und dazu sprachlos vor Verlegenheit. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Hester dagegen stand wie erstarrt da.
Monk konnte kaum glauben, dass er diese Worte selbst ausgesprochen hatte. Sein erster Impuls war, alles zu leugnen, es irgendwie ungeschehen zu machen und zu fliehen. Nur mit Macht konnte er diesem Drang widerstehen. Aber wenn er es tat, warum würde er es tun? Weil es nicht der Wahrheit entsprach oder weil er in Gefühlsdingen ein Feigling war? Sie würde die Antwort auf diese Frage nicht wissen, aber er wusste es. Es war nicht gelogen.
»Wenn Sie sich bei Miss Latterly entschuldigen wollen, wird sie die Entschuldigung gewiss annehmen«, sagte er förmlicher als beabsichtigt.
Hester holte tief Luft.
»Oh…«, seufzte Perdita. »Oh… ja. Es tut mir Leid. Ich hätte das nicht sagen dürfen. Ich habe mich sehr schlecht benommen.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Hester trat einen Schritt auf sie zu. »Nicht annähernd so schlecht, wie Sie vielleicht glauben. Und Sie haben zumindest teilweise Recht. Wir lieben andere Menschen tatsächlich ebenso für ihre Schwächen wie für ihre Stärken. Wir brauchen beides, um einander zu verstehen. Versuchen Sie es nur einfach weiter. Denken Sie daran, wie wichtig es ist!« Sie senkte die Stimme.
»Killian Melville ist tot. Es war wahrscheinlich Selbstmord.
Gestern Nacht.«
Perdita sah sie voller Entsetzen an, dann schaute sie zu Monk hinüber.
»Oh… das tut mir so Leid! Wegen des Prozesses? Weil er so war, wie er war, oder weil es gegen das Gesetz verstoßen hatte?«
»Mehr als das«, antwortete er ihr. »Melville war überhaupt kein Mann; ihr Name war Keelin, und sie war eine Frau. Sie kleidete sich wie ein Mann und benahm sich auch in allen Dingen wie einer, nur nicht bei Isaac Wolff. Es war die einzige Möglichkeit, ihren Beruf auszuüben und ihre gottgegebenen Talente zu nutzen.«
Er benutzte das Wort ›Gott‹, ohne darüber nachzudenken. Dann war es zu spät, es zurückzunehmen, und vielleicht hatte er ja auch gerade das gemeint.
Perdita rühr te sich nicht. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein langsames Begreifen dessen ab, was er gesagt hatte, und sie schien auch einen Teil von dem zu erfassen, was dahinter stand. Dann schüttelte sie den Kopf, zuerst kaum merklich, dann heftiger. Schließlich drehte sie sich um und ging zur Tür.
»Ich gehe wieder nach oben zu Gabriel. Ich werde es ihm erzählen. Es wird ihm furchtbar Leid tun. Es ist so - so endgültig! Es ist zu spät, um noch etwas zu retten… etwas zu sagen oder wieder gutzumachen.« Sie drehte unbeholfen den Türknauf und verließ hastig den Raum.
Nun wandte Hester sich endlich wieder Monk zu. Sie sah ihn forschend an. Er versuchte, sich auf eine Bemerkung zu besinnen, die weder nach einer Ausflucht noch banal klang oder ihn auf etwas festlegte, das er hinterher bedauern würde. Keelin Melville und Zillah Lambert kehrten in seine Gedanken zurück.
»Nun haben Sie ja Zeit, nach den Kindern von
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