Tödliche Täuschung
Marthas Bruder zu suchen«, sagte Hester leise. »Aber lassen Sie keine zu hohe Summe auflaufen, die sie nicht zahlen kann. Tun Sie nur, was Sie können.«
»Ich hatte nicht die Absicht, ihr eine Rechnung zu stellen!«, sagte er ein wenig beleidigt. Warum hatte sie ihm das unterstellt? Kannte sie ihn denn immer noch nicht gut genug?
»Und seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie ihr mitteilen«, fügte sie besorgt hinzu. »Ich befürchte, dass Ihre Ergebnisse von der allerschlimmsten Art sein werden.«
»Bezahlen Sie mich etwa?«, fragte er sarkastisch.
»Nein…«
»Dann hören Sie auf, mir Befehle zu geben!«, erwiderte er und steckte die Hände grimmig in seine Taschen. »Ich werde Ihnen sagen, was ich herausgefunden habe, falls da überhaupt etwas herauszufinden ist«, sagte er. »In ein oder zwei Tagen.«
»Vielen Dank.«
Er ging zur Tür und drehte sich um. Dann bedachte er sie mit einem kleinen Lächeln und ging hinaus.
9
Monk machte sich daran, nach den beiden Kindern zu suchen, obwohl er sich selbst dafür schalt, einen solch hoffnungslosen Fall überhaupt übernommen zu haben. Seine Chancen, irgendetwas herauszufinden, waren äußerst gering. Aber jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Es war seine eigene Schuld, dass er auf seine Gefühle gehört hatte statt auf seinen Verstand. Seine Schuld - und Hesters.
Es gab nur einen Ort, an dem er beginnen konnte, und zwar in dem Haus, in dem sie zur Welt gekommen waren und in dem sie auch bis zum Tod ihres Vaters gelebt hatten. Es stand in der Cooper’s Arms Lane hinter der Putney High Street südlich des Flusses. Es war ein ziemlich langer Weg dorthin, und statt viel Zeit mit dem Hin und Herfahren zu verbringen, hatte er eine kleine Reisetasche gepackt und genug Geld mitgenommen, um in einem Gasthaus zu übernachten, falls er eine Spur fand, die zu verfolgen sich lohnte. Er wollte nicht mehr Zeit als unbedingt notwendig mit diesem Fall vergeuden, und um ehrlich zu sein, hoffte er, die Sache so bald wie möglich hinter sich bringen zu können, ohne sein Wort zu brechen.
Es war ein sehr angenehmer Tag, warm und hell, und wenn er aus irgendeinem anderen Grund unterwegs gewesen wäre, hätte ihm die Fahrt Spaß gemacht. Er kam kurz vor halb elf in Putney an und fand die Cooper’s Arms Lane, ohne erst nach dem Weg fragen zu müssen. Die Taverne, nach der sie benannt worden war, sah so aus, als könnte man dort gut zu Mittag speisen. Außerdem hoffte er, dort Leute zu treffen, die ihm die eine oder andere nützliche Information liefern konnten.
Zuerst würde er es bei dem Haus selbst versuchen, einfach um diesen Punkt aus seinen Nachforschungen streichen zu können. Nach zwanzig Jahren würde sich wohl niemand mehr an etwas erinnern.
Er fand das richtige Gebäude, ein bescheidenes Quartier mit schäbigen, aber gut in Stand gehaltenen Mauern, hinter denen für gewöhnlich zwei oder drei Familien lebten. Der Trittstein war sauber geschrubbt und weiß getüncht, der kurze Weg zum Haus gefegt. In den vorderen Fenstern hingen frisch gewaschene Vorhänge, und selbst von außen konnte er sehen, dass sie sorgfältig geflickt waren. Das alles kündete von einem geregelten Leben zwischen Armut und Achtbarkeit, bei dem man sich stets gegenwärtig sein musste, dass eine Krankheit mit unbezahlbaren Rechnungen oder der Verlust des Arbeitsplatzes alles zunichte machen konnte.
War es zu Samuel Jacksons Zeiten schon genauso gewesen?
Alle Häuser links und rechts der Straße sahen so aus wie dieses. Ein Gefühl der Traur igkeit überkam ihn, als er daran dachte, wie das Unglück hier ohne Vorwarnung und Gnade hereingebrochen war. Er bemerkte, dass er trotz des Sonnenlichts fror, als er die Hand nach dem Türklopfer ausstreckte.
Die Frau, die ihm öffnete, war im herkömmlichen Sinne sicher nicht hübsch zu nennen, aber klare Augen und ein freundliches Wesen verliehen ihr einen eigenen Reiz. Sie sprach mit weichem, irischem Akzent.
»Ja, Sir? Kann ich Ihnen helfen?«
»Guten Morgen, Ma’am«, antwortete er mit größerer Höflichkeit als in den Tagen, als er Polizist gewesen war. »Ich ziehe für eine Bekannte, deren Bruder vor zwanzig Jahren in diesem Haus gelebt hatte, Erkundigungen ein. Mir ist klar, dass hier wahrscheinlich niemand wissen wird, was aus ihm geworden ist. Im Grunde sind es auch seine Kinder, um die es mir geht. Die Dame hat den Kontakt zu ihnen verloren…« Er sah den Ausdruck von Sorge und Ungläubigkeit auf dem Gesicht der Frau. Zwanzig Jahre - eine zu
Weitere Kostenlose Bücher