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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Städten Cawnpore und Lucknow, von den Schlachten, die quer über den Kontinent tobten. Die Namen Nena Sanob, Koer Singh, Tanteea Topee und des Ranee von Jhansi kamen schließlich jedem mühelos über die Lippen. Zwei Jahre lang tobte auf dem indischen Kontinent die Gewalt. Weder für Perdita Sheldon noch für irgendeine andere Frau stellte sich die Frage, ob sie England verließ und ihrem Gatten nachreiste.
    Als alles vorüber war und die Lage sich wieder beruhigt hatte , konnte nichts je wieder so sein wie zuvor. Das Vertrauen war für alle Zeit dahin. Gabriel Sheldon stand noch immer als aktiver Soldat im Dienst seines Regiments und war hauptsächlich in dem zerklüfteten Land im Nordwesten stationiert, in der Nähe der Grenze am Khaiberpass, der über den Himalaja nach Afghanistan führte. Perdita blieb in England und träumte von der Rückkehr ihres Mannes und dem Leben, das er ihr versprochen hatte.
    Deshalb hatte Gabriels Bruder, Athol Sheldon, die beste Krankenschwester eingestellt, die er finden konnte. Hester Latterly zog in den Tavistock Square, um Gabriel zu pflegen, so lange sich dies als notwendig erweisen sollte.
    Jetzt war es für den Hausstand eines Invaliden schon recht spät am Abend, und sie hatten bereits diniert: Perdita unten mit ihrem Schwager Athol, Gabriel auf seinem Zimmer und mit Hesters Hilfe. Hester selbst hatte nur kurz im Dienstbotenzimmer etwas zu sich genommen und sich wieder nach oben begeben, als das Tablett mit dem Abendessen für Gabriel fertig war.
    Zu dieser Tageszeit hatte sie keine besonderen Pflichten, sondern musste lediglich verfügbar sein, falls man nach ihr verlangte. Gabriel betätigte die Glocke an seinem Bett, wenn er sich zur Ruhe begeben wollte oder in irgendeiner Hinsicht Hilfe benötigte. Es gab nichts zu flicken, und alle schmutzigen Sachen waren längst gewaschen. Hester hatte sich ein Buch aus der Bibliothek geholt, dessen Lektüre ihr jedoch recht mühsam erschien.
    Es war kurz nach zehn, als die Glocke endlich erklang und sie das Buch mit Freuden zuklappen konnte. Sie machte sich nicht die Mühe, ein Lesezeiche n zwischen die Seiten zu legen, sondern ging mit schnellem Schritt den kurzen Weg über den Flur zu Gabriels Zimmer und klopfte an die Tür.
    »Herein!«, antwortete er sofort.
    Es war der größte Raum des Stockwerks, und man hatte ihn so hergerichtet, dass Gabriel nicht nur des Nachts darin schlafen, sondern tagsüber dort auch lesen oder ruhen konnte.
    Sie zog die Tür hinter sich zu. Sein Bett stand am anderen Ende des Raums, ein prachtvolles Möbel, kunstvoll geschnitzt an Kopf und Fußende. Es befanden sich so viele Kissen darin, dass Gabriel einigermaßen behaglich sitzen konnte. Man hatte eine spezielle Vorrichtung konstruiert, auf die er ein Buch oder eine Zeitung legen konnte, um zu lesen oder zu schreiben, ohne dass ihm dabei das Papier wegrutschte. Glücklicherweise war er Rechtshänder, und es war der linke Arm, den er verloren hatte.
    Aber wenn man ihn das erste Mal sah, bemerkte man nicht den leeren Ärmel, sondern die furchtbare Entstellung seines Gesichts, dessen linke Seite vom Wangenknochen bis zum Kiefer tief vernarbt war. Die rote Linie der Fleischwunde würde nie mehr verschwinden, auch nicht das feine, erhabene weiße Zickzackmuster dort, wo man bereits auf dem Schlachtfeld die Haut hastig zusammengenäht hatte. Nach dem anfänglichen Schock konnte man sich jedoch mühelos vorstellen, was für ein gut aussehender Mann er vor der Verletzung gewesen war. Sein Gesicht war beinahe schön in seinen einfachen Linien, in der Ausgewogenheit von Nase, Wangen und Kinn. Die hohe Stirn war auch heute noch ohne Makel, das dunkelbraune, gewellte Haar wunderbar voll. Seine haselnussbraunen Augen hatten einen klaren Blick. Nur der Mund war vor Schmerz verzerrt.
    »Ich habe genug von diesem Buch«, sagte er enttäuscht. »Es ist nicht besonders interessant.«
    »Meins auch nicht.« Sie lächelte ihn an. »Ich habe mir nicht einmal ein Lesezeichen hineingeigt. Soll ich Ihnen für morgen etwas anderes heraussuchen?«
    »Ja bitte. Obwohl ich nicht weiß, was.«
    Sie nahm das Buch und rollte vorsichtig das Lesegestell zur Seite. Es war klug erdacht und recht leicht zu handhaben.
    Gabriel hatte sich rastlos hin und her gewälzt und sein Bettzeug verknittert. Es waren nicht nur die schlecht heilenden Wunden und die Phantomschmerzen des amputierten Arms, die ihm körperlich zu schaffen machten, sondern auch der Aufruhr seiner Gefühle. Er fühlte sich

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