Tödliche Therapie
Einbrecher überrascht hatte und dabei
niedergeschlagen wurde - niemand hatte es auf ihn persönlich abgesehen. Ich
war der gleichen Meinung, dachte aber, daß es gut wäre, wenn jemand auf ihn
aufpaßte, sobald er die Täter identifiziert hätte.
Man sagte mir, daß er noch immer bewußtlos auf der
Intensivstation liege, jedoch außer Lebensgefahr sei. Im Warteraum der
Intensivstation erklärte mir der diensthabende Arzt, daß Kopfverletzungen
kompliziert seien. Mr. Contreras könne im nächsten Augenblick aufwachen oder
auch noch eine Weile bewußtlos bleiben. Nein, ich könne ihn nicht sehen, nur
Familienangehörige würden zu ihm gelassen, immer nur einer, für fünfzehn
Minuten, alle zwei Stunden.
Aus vielen Diskussionen mit Lotty wußte ich, daß in
solchen Fällen nichts zu machen war. Ich würde den Arzt nicht erweichen, er
berief sich auf seine Vorschriften. Ich wollte gerade wieder gehen, als eine
herausgeputzte Frau, Mitte vierzig, hereinkam. Sie wog ungefähr dreißig Pfund
zuviel, was ihr das Aussehen einer aufgeblasenen Gummipuppe verlieh. Sie hatte
zwei Jungen im Schlepptau, der jüngere ungefähr zwölf, der andere ein paar
Jahre älter.
„Ich bin Mrs. Marcano“, verkündete sie in hartem,
nasalen Ton. „Wo ist mein Vater?“
Natürlich. Mr. Contreras' Tochter Ruthie. Ihre
Stimme hatte ich öfter durchs Treppenhaus hallen gehört, sie selbst aber
bislang nie zu Gesicht bekommen.
„Er ist dort drin.“ Ich deutete auf die Tür, die zu
den Krankenzimmern führte. „Die Schwester kann Ihnen den Arzt holen.“
„Wer sind Sie?“ wollte sie wissen. Sie hatte Mr.
Contreras große braune Augen, aber bei ihr strahlten sie keinerlei Wärme aus.
„V. I.
Warshawski. Ich wohne im gleichen Haus und
habe ihn heute morgen gefunden.“
„Dann sind Sie also die Frau, die ihm das Ganze
eingebrockt hat. Hätte ich mir denken können. Er hat sich für Sie schon einmal
vor zwei Wochen ein Loch in den Kopf schlagen lassen. Aber das hat noch nicht
gereicht, oder? Er mußte auch noch sein Leben riskieren für Sie, was?“
„Mama, bitte.“ Der ältere der beiden Jungen war
furchtbar verlegen, wie es nur Teenager sind, wenn sich ihre Eltern in aller
Öffentlichkeit lächerlich machen. „Es war nicht ihre Schuld. Der Detective hat
gesagt, sie hat sein Leben gerettet. Du hast es doch gehört.“
„Du glaubst also eher einem Bullen als mir?“ fuhr
sie ihn an und wandte sich dann wieder mir zu. „Er ist ein alter Mann und
sollte bei mir wohnen. Ich lebe in einer sicheren Gegend, nicht in einem
heruntergekommenen Viertel, wo er jedesmal, wenn er den Kopf aus der Tür
steckt, eine drübergezogen bekommt. Ich bin seine einzige Tochter. Aber Ihnen
läuft er nach wie ein junger Hund. Jedesmal, wenn ich ihn besuche, heißt es
nur, Miss Warshawski hier, Miss Warshawski da. Ich könnte schon kotzen, wenn
ich nur Ihren Namen höre. Wenn du sie so magst, dann heirate sie doch, hab ich
ihm gesagt. So wie du über sie redest, könnte man meinen, du hast keine
Familie, hab ich gesagt. Joe und ich, wir sind wohl nicht mehr gut genug für
dich, seit du diese Studierte kennst? Mama war wohl auch nicht gut genug für
dich? Ist es so?“
Ihr Sohn sagte noch mehrmals weinerlich „Mama,
bitte“, aber umsonst. Er und sein Bruder zogen sich soweit wie möglich zurück
und blickten unsicher um sich.
Mir wurde unter dieser Sturzflut von Worten nahezu
schwindlig. Die rednerische Begabung ihres Vaters hatte sie zweifellos geerbt.
„Ich darf nicht zu ihm. Aber wenn Sie der Schwester sagen, daß Sie seine
Tochter sind, holt sie den Arzt und der wird Sie zu ihm bringen. Freut mich,
Sie kennengelernt zu haben.“
Ich flüchtete aus dem Krankenhaus. Fast hätte ich
gelacht, aber leider hatte dieses Frauenzimmer meine Schuldgefühle aktiviert.
Warum zum Teufel hatte sich der alte Mann eingemischt? Warum war er die Treppe
hinaufgestiegen und hatte sich ein Loch in den Schädel schlagen lassen? Er war
verletzt worden, weil er mich beschützen wollte. Das bedeutete, daß ich es ihm
schuldig war, die Einbrecher ausfindig zu machen. Das wiederum bedeutete, daß
ich mit der Polizei konkurrieren mußte bei einer Aufgabe, für die sie besser
geeignet war. Das einzige, was ich ihr voraus hatte, war, daß ich über die
vermißten IckPiff-Akten Bescheid wußte. Es war an der Zeit, endlich
herauszufinden, wer Dicks Rechnung zahlte.
Meine Wohnung sah niederschmetternd aus. Nicht nur
wegen des Durcheinanders, sondern weil das ganze Haus leer und
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