Tödliche Unschuld
brachte Morris selbst den Mund nicht zu, wenn er bei der Arbeit war. Jetzt aber blickte er schweigend zwischen dem Inneren von Cogburns Schädel und dem Computerbildschirm hin und her.
Sie studierte ebenfalls das Bild, konnte aber außer Farben und Formen nichts erkennen.
»Haben Sie die Krankengeschichte dieses Typen überprüft?«
»Ja. Er scheint in den letzten Jahren bei keinem Arzt gewesen zu sein. Mir ist nichts ins Auge gesprungen, das irgendwie verdächtig war.«
»Etwas ist nicht gesprungen, sondern eher geplatzt. Und zwar sein Gehirn. Ein normaler Stunner kann einen solchen Schaden unmöglich angerichtet haben. Er hatte weder einen sichtbaren Tumor noch irgendeine Verstopfung der Arterien. Von einer Embolie müsste ich was sehen … Sein Schädel stand offensichtlich unter enormem inneren Druck.
Die Hirnmasse ist stark geschwollen.«
»War sie das auch schon, bevor Trueheart auf ihn geschossen hat?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Die Untersuchungen werden etwas dauern.
Faszinierend. Sein Hirn ist regelrecht geplatzt. Wie ein zu stark aufgeblasener Ballon.
Meiner Meinung nach kann das nicht durch eine Waffe hervorgerufen worden sein. Es ist ein internes Problem.«
»Medizinisch.«
»Das kann ich bisher nicht bestätigen. Ich werde noch ein paar Tests durchführen.«
Damit scheuchte er sie fort. »Sobald ich etwas habe, rufe ich Sie an.«
»Ich brauche aber möglichst jetzt sofort etwas.«
»Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass das Hirn von diesem Typen bereits vor dem Schuss, den Ihr Kollege auf ihn abgegeben hat, in einem äußerst schlechten Zustand war.
Das, was hier passiert ist, kann unmöglich das Ergebnis eines Schusses aus seinem Stunner sein. Es wäre nicht einmal passiert, wenn Trueheart ihm die Waffe direkt ins Ohr gehalten hätte. Ob der Schuss möglicherweise eine Kettenreaktion ausgelöst haben könnte, die den Tod beschleunigt hat, kann ich noch nicht sagen. Aber dem Aussehen seines Hirns zufolge hätte er die nächste Stunde sowieso nicht überlebt. Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich weiß, wie und warum es zu der Schwellung gekommen ist. Und jetzt verschwinden Sie, damit ich in Ruhe meine Arbeit machen kann.«
Als Eve die Tür zu Cogburns Wohnung öffnete, wurde sie von dem Gestank und von der Hitze, die ihr entgegenschlugen, regelrecht betäubt.
»Das ist ja widerlich.«
»Allerdings.« Peabody drehte den Kopf, tat, wie sie annahm, ihren vorläufig letzten ungiftigen Atemzug, und folgte Eve hinein.
»Machen Sie das Fenster auf, solange wir hier drin sind. Die Hitze von draußen ist bestimmt noch besser als die Luft hier drinnen.«
»Wonach suchen wir eigentlich?«
»Morris geht davon aus, dass Louis schon bevor Trueheart auf ihn geschossen hat, schwer angeschlagen war. Vielleicht finden wir irgendeinen Hinweis darauf, dass er krank gewesen ist. Irgendwelche Medikamente oder so. Die Wohnung sieht so aus, als ob er in der letzten Zeit nicht ganz auf dem Damm gewesen wäre. Auch wenn er ein kleiner Scheißer war, war er ordentlich und gut organisiert. Hatte sein Apartment für gewöhnlich gut in Schuss. Aber in den letzten Tagen hat er seinen Haushalt sichtlich schleifen lassen.
Auch wenn er weiter seinen Geschäften nachgegangen ist. Wenn man krank ist und es obendrein heiß ist, macht einen das reizbar. Und wenn einem dann noch der Nachbar auf die Nerven geht, flippt man eben aus. So ergibt das Ganze plötzlich einen Sinn.«
»Im Grunde ist es doch egal, weshalb Cogburn auf seinen Nachbarn losgegangen ist«, warf Peabody ein.
»So etwas ist nie egal«, antwortete Eve. »Ralph Wooster ist tot, und Cogburn hat dafür bezahlt. Trotzdem ist es nicht egal, wie es dazu gekommen ist.«
Sie öffnete dieselben Schubladen und Schränke wie bereits am Tag zuvor. »Möglicherweise hatte er ja schon die ganze Zeit einen Piek auf Wooster. Vielleicht war er scharf auf Woosters Frau oder schuldete ihm Geld. Und jetzt fühlt er sich hundeelend, und der blöde Ralph hämmert an seine Tür und brüllt ihn an.«
Sie ging in die Hocke und beleuchtete mit ihrer Taschenlampe die Rückwand eines Schranks. »Die Sache ist die: Etwas hat ihn dazu gebracht, total auszuflippen. Eventuell sein Gehirn. Morris hat festgestellt, dass es keine Rettung für ihn gab.«
»Trotzdem wird Trueheart gerade psychologisch untersucht.« Peabody warf einen Blick auf ihre Uhr. »Oder er ist inzwischen damit fertig. Doch egal, wie die Dinge liegen - dem Verhör durch die Dienstaufsicht entgeht er
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