Tödliche Unschuld
sofort in tiefen Schlaf und wurde dreieinhalb Stunden später von dem gnadenlosen Piepsen ihrer Armbanduhr geweckt. Sie kroch auf allen vieren aus dem Bett, stolperte unter die Dusche und blieb volle zwanzig Minuten unter dem dampfend heißen Wasser stehen.
Als sie wieder ins Schlafzimmer zurückkam, stand ihr Gatte gerade auf. »Habe ich dich geweckt? Du könntest ruhig noch ein halbes Stündchen schlafen.«
»Ich bin fit.« Er musterte sie kritisch und nickte dann zufrieden. »Und du siehst ebenfalls erheblich besser aus als heute früh um vier. Warum bestellst du uns nicht was zu essen, während ich kurz dusche?«
»Ich wollte eigentlich nur schnell ein Bagel an meinem Schreibtisch essen.«
»Aber jetzt hast du es dir eben anders überlegt«, erklärte er auf dem Weg zum Bad.
»Weil du dich daran erinnert hast, dass dein Körper anständige Nahrung braucht, um energiegeladen und gesund zu bleiben, und weil du kein Interesse daran hast, gleich am frühen Morgen von mir dazu gezwungen zu werden, dass du einen Proteinshake trinkst.
Rührei wäre lecker, findest du nicht auch?«
Sie bleckte die Zähne, was er jedoch, da er längst unter der Dusche stand, leider nicht mehr sah.
Sie redete sich ein, sie äße, weil sie Hunger hatte, und nicht, weil es sein Befehl war.
Als Roarke über die Gegensprechanlage seinen Butler anrief, um ihn zu fragen, wie es Ian ging, gab sie sich die größte Mühe, die Erklärung, dass er gut geschlafen hatte, als positives Zeichen zu nehmen.
Genau, wie sie entschlossen gegen den Schock ankämpfte, als er in einem elektrischen Rollstuhl durch die Tür ihres Arbeitszimmers fuhr.
»Hi!« Sein Gesicht war eine Spur zu fröhlich, seine Stimme eine Spur zu gut gelaunt.
»Ich glaube, dass ich das Gefährt behalte, wenn ich wieder auf den Beinen bin. Ist wirklich obercool.«
»Nicht dass Sie Rennen in den Korridoren fahren.«
Er sah sie grinsend an. »Zu spät.«
»Wir werden noch auf Feeney warten, bevor wir mit der Besprechung beginnen«, meinte Eve.
»Wir haben den Bericht im Fernsehen gesehen, Lieutenant.« Peabody hatte dunkle Ringe unter den Augen und sah Eve über McNabs Kopf hinweg unglücklich an. »Wir wissen also bereits halbwegs Bescheid.«
»Ich brauche erst mal einen Kaffee.« Eve bat Roarke mit einem Blick, McNab ein wenig abzulenken, und winkte ihre Assistentin hinter sich her. »Sie müssen sich größere Mühe geben, sich Ihre Verzweiflung nicht derart anmerken zu lassen«, ermahnte sie ihre Assistentin, sobald die Tür der Küche hinter ihr ins Schloss gefallen war. »Er ist schließlich nicht blöd.«
»Ich weiß. Ich weiß. Und eigentlich bin ich okay. Nur - wenn ich ihn so in diesem Rollstuhl sehe, werde ich ein bisschen zittrig. Sein Zustand hat sich noch immer nicht verändert. Sie haben gesagt, er müsste langsam ein leichtes Kribbeln spüren, so als ob einem der Fuß eingeschlafen ist und der wieder aufwacht. Das wäre ein Zeichen dafür, dass die Nerven wieder anfangen zu reagieren. Aber er spürt überhaupt nichts, sie reagieren also nicht.«
»Manchmal dauert es halt ein bisschen länger, bis man sich von einer solchen Verletzung erholt. Ich habe selbst schon einen Volltreffer aus einem Stunner abbekommen und nicht mal einen tauben Arm gehabt. Ein anderes Mal hat mich der Schuss lediglich gestreift und ich habe stundenlang überhaupt nichts mehr gespürt.«
»Er hat Angst. Er versucht es sich nicht anmerken zu lassen, aber er hat eine Heidenangst.«
»Wenn er es schafft zu tun, als ob alles in Ordnung wäre, können Sie das ja wohl ebenso. Und wenn Sie etwas gegen die Leute unternehmen wollen, die ihn - vorübergehend - aus dem Verkehr gezogen haben, müssen Sie sich zusammenreißen. Denn dann brauchen Sie Ihre gesamte Konzentration.«
»Ich weiß.« Peabody atmete tief durch und straffte ihre Schultern. »Und ich werde es schaffen.«
»Gut, dann fangen Sie am besten damit an, dass Sie Kaffee für uns kochen.«
Damit kehrte Eve zurück in ihr Büro, blieb jedoch, als sie Feeney in der Tür entdeckte, entgeistert stehen. Während er von hinten auf den Rollstuhl blickte, verriet seine Miene Elend, Mitgefühl und Zorn.
Eve wollte etwas sagen, irgendwas, damit er sich zusammenriss, aber genau in dieser Sekunde legte er einen inneren Schalter um, und sein Gesicht hellte sich auf.
»He, was soll das?« Stirnrunzelnd trat er vor McNab. »Was sind Sie für ein elendiger Simulant. Hätte ich mir denken sollen, dass Sie versuchen würden, aus dieser
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