Toedliche Worte
verlieren und seine Verbindungen zum Leben jenseits des Zauns lösen. Normalerweise wurde es nicht besonders gern gesehen, wenn das Personal dort mit einem Patienten spazieren ging, aber Tony hatte beschlossen, dass eine kurze Atempause außerhalb der bedrückenden Umgebung des Anstaltsgebäudes Tom Storey nur gut tun konnte. Sie waren schon fast eine ganze Stunde im Freien und hatten über das gesprochen, was Tom im Moment die größten Sorgen machte.
Bei einer Gruppe von Birken waren sie nahe am Zaun stehen geblieben und schauten über das Tal auf ein Wasserreservoir mit glänzender Oberfläche hinüber. Tony sah auf seine Uhr. »Wir sollten jetzt wohl zurückgehen. Ich habe in einer Viertelstunde noch einen Termin.«
Mit einem letzten Blick auf die Landschaft wandten sie sich wieder dem unansehnlichen viktorianisch-neugotischen Gebäudekomplex zu. »Ich bin froh, dass Sie heute gekommen sind«, sagte Storey.
»Wir hatten ja einen Termin vereinbart. Wo sollte ich sonst sein?«
»Ich dachte, Ihre Arbeit für die Polizei würde Sie vielleicht abhalten.«
»Meine Patienten gehen vor. Ich arbeite mit der Polizei zusammen, aber das heißt nicht, dass man dort die Macht hat, mir vorzuschreiben, wann ich wo hingehe.«
Storey warf ihm einen seltsamen Blick zu. »Das ist ’ne merkwürdige Art, es auszudrücken.«
»Ja, nicht wahr? Ich nehme an, es kommt daher, dass ich heute Vormittag viel über Macht nachgedacht habe.«
Schweigend gingen sie ein paar Minuten weiter, dann sagte Tony: »Was ist Ihre Einstellung zur Macht, Tom?«
Zwischen Storeys Augenbrauen erschienen zwei parallele Falten, während er auszudrücken versuchte, was er empfand. Es fiel ihm jetzt schwerer, seine Gedanken mitzuteilen. »Man nimmt sie sich, wo man sie findet«, sagte er. »Es hängt immer von den Umständen ab. Die Macht des einen bedeutet Leiden für den anderen.«
Tony blieb abrupt stehen. Er wusste nicht genau wie, aber etwas an Tom Storeys Worten hatte einen Gedanken in seinem Kopf angestoßen. Er sprach so leise, dass sich sein Patient anstrengen musste, ihn zu hören. »Wenn man sich die betrachtet, die überwältigt wurden, gibt es da eine direkte Verbindung zurück zu dem Unterdrücker …« Tony hob den Blick zum Himmel. »Wenn man diesen Faden findet, findet man den Mörder.«
Er wandte sich an Storey und lächelte glücklich. »Danke, Tom. Danke für diesen wunderbaren Gedanken. Ich glaube, mir geht langsam ein Licht auf.«
Aber das Licht musste warten. Wie Tony schon gesagt hatte, musste er sich noch mit einem anderen Patienten beschäftigen, dessen Psychose seine ganze Konzentration und Aufmerksamkeit erforderte. Eine Stunde später verließ er endlich mit gesenktem Kopf und ohne auf seine Umgebung zu achten sein Büro. Vage nahm er wahr, dass irgendwelche Gestalten an ihm vorbeikamen, aber er war schon fast am Ende des Korridors, als endlich etwas davon in sein Bewusstsein drang. Er hielt an, runzelte die Stirn und sah sich ungeduldig um, als er eine Stimme hörte.
Jan Shields stand vor seinem Büro an die Wand gelehnt und grinste. »Ich habe gesagt: ›Was gibt’s, Doc?‹«, sagte sie, perfekt Bugs Bunny imitierend.
Ein ungutes Gefühl ergriff ihn plötzlich, aber er verdrängte es. Wenn etwas Schlimmes geschehen wäre, würde sie nicht herumalbern. »Aber Ihren regulären Job geben Sie doch nicht auf?«, sagte er und ging zu ihr zurück.
»Fällt mir gar nicht ein. Dafür macht er mir zu großen Spaß.«
Er war bei ihr angekommen. »Ist etwas passiert?«
Sie stieß sich von der Wand ab. »Nein. Das ist unser Problem. Mr. Brandon möchte ein Profil haben. Damit er etwas hat, was er den Raubtieren vorwerfen kann. Ich soll Sie zurückfahren. Gehen wir?« Sie zeigte auf den Hauptkorridor und ging neben ihm her.
»Woher wussten Sie, wo ich bin? Und dass ich meinen Wagen nicht dabeihabe?«
Sie zwinkerte ihm zu. »Ich bin eben Kriminalbeamtin.«
»Was ich so mache, ist ja nicht gerade ein Geheimnis. Sie haben Carol gefragt.«
Jan lächelte. »Als Ihr Wagen vor Ihrer Wohnung stand und Sie nicht da waren, rief ich Carol an. Sie sagte, Sie hätten wahrscheinlich vergessen, das Licht abzuschalten. Oder das Benzin sei Ihnen ausgegangen. Da habe ich hier angerufen.«
Als sie auf dem Parkplatz ankamen, war Tony überrascht, dass sie nicht auf ein stinknormales Auto zusteuerten, sondern auf einen niedrig auf der Straße liegenden japanischen Sportwagen, einen Zweisitzer. »Ist ja schön zu sehen, dass die Kripo von
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