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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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beleuchteten Restaurant mit anderen Gästen. Hier und jetzt gelang es ihr aber nicht mehr so zu tun, als empfinde sie normal, wie jede andere Frau.
    Er spürte ihre Anspannung, wich zurück und sah sie verwirrt an. »Hab ich irgendetwas Falsches gesagt?«, fragte er in leicht neckendem Tonfall.
    Carol atmete tief aus und hatte nicht einmal bemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte. »Es ist nicht Ihretwegen«, murmelte sie und richtete den Blick auf seinen Jackenärmel. Sie war überrascht gewesen, dass er nicht in seiner Lederkluft erschienen war, aber er hatte erklärt, er habe bei beruflichen Reisen immer noch etwas anderes zum Anziehen dabei. Der jugendliche Motorradfahrer-Look war durch ein leicht altmodisches Jackett, verschossene Jeans und einen Baumwollpullover mit eng anliegendem rundem Halsausschnitt ersetzt worden.
    »Was ist los, Carol?«, fragte er mit sanfter Stimme und ohne jeden Vorwurf.
    »Es tut mir leid, ich …« Außer der Wahrheit wusste sie nicht, was sie sagen sollte, und wie sie die rüberbringen sollte, wusste sie schon gar nicht. Er hielt sie noch umfasst, und sie brauchte alle Kraft, sich nicht dem zu entziehen, was ihr wie ein Angriff vorkam.
    Als spüre er ihr Unbehagen, ließ er sie los. Ihre Hand lag noch auf seiner Brust, und er legte behutsam seine Finger darauf. »Ist schon gut«, sagte er. »Ich gehe.« Er trat zurück, hielt aber immer noch ihre Hand.
    Carol schloss die Augen. »Ich bin vergewaltigt worden«, sagte sie. Die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft, aber er ließ sie nicht los. Sie öffnete die Augen und erwartete Schock, Ärger, Mitleid oder Begierde.
    Aber sie konnte auf seinem Gesicht nur Besorgnis entdecken. Ihre Blicke trafen sich ohne Worte. Dann sagte er zögernd: »Dann war es ziemlich tapfer, dass du heute Abend mit mir ausgegangen bist. Danke, dass du mir vertraut hast.«
    Sie war sprachlos. Seine Reaktion war so ganz anders als alles, was sie bisher erlebt hatte. »Tapfer – na ja, ich weiß nicht«, sagte sie. »Aber ich meine, fair war es nicht.«
    Er schüttelte den Kopf, wobei das Licht der Straßenlaternen auf seinen Haaren funkelte. »Sei doch nicht so streng zu dir selbst. Ist es das erste Mal, dass du ausgegangen bist, seit es passiert ist?«
    Carol nickte. »Mit jemandem, den ich vorher nicht kannte? Ja.« Sie holte tief und zitternd Luft. »Es war vor sieben Monaten und scheint mir immer noch lebendiger als alles zu sein, was ich heute getan habe.«
    »Dann solltest du stolz sein. Ich hätte niemals gedacht, dass dich etwas anderes beschäftigt als deine Arbeit.« Er lächelte ihr zu. »Also, wahrscheinlich wäre es am besten, wenn wir uns für heute Abend verabschiedeten.« Er ließ ihre Hand los und trat einen Schritt zurück. »Kann ich dich anrufen?«
    »Bitte«, sagte sie. Plötzlich gab sie einem Impuls nach und reckte sich hoch, um ihn zu küssen. Seine Lippen waren trocken und kühl, und er machte keinen Versuch, sie an sich zu ziehen. Sie standen ein wenig unbeholfen da und lächelten sich an. »Gute Nacht«, sagte sie leise. Sie hatte heute Abend Glück gehabt, dass sie einen Mann getroffen hatte, der sie weder als beschädigte Ware abtat noch sich zu dem Wunsch aufschwang, sie zu rächen, oder gar mit kaum verstecktem Ekel vor ihr zurückwich. Er war nicht in Mitleid oder Empörung versunken und hatte auch nicht gefragt, wie einer solchen Frau wie ihr so etwas habe passieren können. Eine Reihe von Unterlassungen, die zusammengenommen das erste Positive ergaben, das ihr seit der Vergewaltigung begegnet war. So, glaubte sie, hätte Tony reagiert, wenn er nicht so sehr von Schuldgefühlen erfüllt wäre.
    »Gute Nacht, Carol.« Jonathan nahm seinen Helm. »Ich warte hier, bis du drin bist«, sagte er und schwang sich auf die schwere Maschine.
    Sie machte das Tor auf, ging den Weg entlang und bemerkte erst jetzt das Licht im oberen Zimmer, das andere Leute als Schlafzimmer genutzt hätten, das Tony aber zum Arbeitszimmer gemacht hatte. Ihr Herzschlag stockte, und sie hoffte, dass er nicht Zeuge der Szene geworden war, die sich gerade abgespielt hatte.

    Tony saß an seinem Schreibtisch, starrte ins Leere und dachte über das nach, was er gerade gesehen hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er es verpasst hätte, lag bei neunundneunzig Prozent. Obwohl seine Beobachtungsgabe für seinen Beruf von zentraler Bedeutung war, saß er niemals am Fenster und spionierte die Welt anderer Leute aus. Und wenn er arbeitete und in die Lektüre, das

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