Toedliche Worte
sein Gesichtsausdruck verriet nichts. »Kann ich Sie kurz sprechen?«, fragte er.
Sie wies auf den Stuhl: »Setzen Sie sich.«
Er nahm umständlich in einer Haltung selbstbewusster Gelassenheit Platz. »Ich dachte, ich sollte wohl selbst kommen, bevor Mr. Brandon mit Ihnen redet«, sagte er ohne Umschweife.
Carol runzelte die Stirn. »Worum geht es denn, Sam?«
»Um Aidan Hart.«
»Hab ich da was verpasst? Ich versteh nur Bahnhof.«
»Ich weiß, dass Sie zu dem Ergebnis kamen, Aidan Hart gehöre nicht auf die Liste der Verdächtigen, weil er ein Alibi hat, aber mich hat das nicht überzeugt. Deshalb habe ich ihn überwacht.« Evans sah ihr in die Augen, sein Mund zuckte fast entschuldigend. »In meiner Freizeit.«
»Wie bitte?«, sagte Carol ungläubig.
»Als ich ihn vernahm, bekam ich das Gefühl, dass etwas mit Hart nicht stimmte. Und ich hatte recht«, fügte er hinzu. »Er ist süchtig nach Prostituierten. Zwei- oder dreimal die Woche bezahlt er Straßenmädchen für Sex.«
Carol starrte ihn erstaunt an. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Sie war wütend, weil er so eigenmächtig gehandelt hatte. Aber außerdem hatte sich bei ihr ein nagender Zweifel festgesetzt. Hatte sie Hart zu vorschnell ausgeschlossen? War sie dabei, ihre oft bewiesene Treffsicherheit zu verlieren? Ungeduldig verwarf sie diese Überlegungen. »Und was hat Mr. Brandon damit zu tun?«
Evans zuckte mit den Schultern. »Er hat mich dabei erwischt, als ich die Einzelheiten in meinen Computer eingegeben habe. Er wollte wissen, wieso ich Dr. Hart überwache. Deshalb musste ich es erklären.«
Carol spürte, wie sich in ihrem Inneren ein Abgrund auftat. »Sie haben dem Chief Constable gesagt, dass Sie eine Ermittlungsrichtung verfolgen, die ich aufgegeben hatte?«, sagte sie knapp und schneidend scharf.
Er hob die Augenbrauen. »So hab ich es nicht gesagt. Nicht genauso.«
Du Scheißkerl. Sie traute sich kaum, den Mund aufzumachen, weil sie befürchtete, sie würde ihn anschreien. Ihr kam der Gedanke an Verrat. »Ich möchte einen vollständigen Bericht über Ihre Arbeit«, sagte sie. »Innerhalb von einer Stunde will ich ihn auf meinem Tisch haben. Und nie wieder will ich so was von Ihnen hören. Wir sind hier nicht im Wilden Westen. Entweder wir sind ein Team, oder wir können es vergessen. Sie haben mir gegenüber keine Zweifel an Hart geäußert. Hätten Sie das getan, hätte ich ihn vielleicht nicht so schnell gehen lassen. Ich werde diese Art von hinterhältigem Verhalten in meinem Team nicht dulden. Es macht uns alle kaputt. Lassen Sie sich dies eine Warnung sein, DC Evans. Jetzt verschwinden Sie.«
Er stand auf und ging aufrecht und mit erhobenem Kopf hinaus. Das Lächeln in seinen Mundwinkeln sah Carol nicht.
Die wässrige Sonne hatte den grauen Dunst durchbrochen und die Straßen von Temple Fields in ein blasses Licht getaucht. In den anderen Stadtteilen ging es geschäftig zu, aber diese Gegend wirkte an einem Wochentag um zehn Uhr morgens verschlafen und wie ausgestorben. Die Leute, die hier wohnten, waren schon zur Arbeit gegangen, und diejenigen, die hier arbeiteten, versuchten vor allem, sich noch von der Nacht zu erholen. Ein Mann in einem Straßenanzug führte mit flatterndem Regenmantel zügig seinen Bullterrier auf dem Treidelpfad am Kanal spazieren. Zwei Frauen in Jeans und Lederjacke gingen gemütlich Arm in Arm vorbei, eingehüllt in eine Wolke der Selbstzufriedenheit. Und Tony Hill stand an einer Straßenecke und machte sich mit dem Verzeichnis des Bradfielder Stadtplans und einem Zettel zu schaffen.
Ich hätte das machen sollen, bevor ich hierher komme, dachte er, während er festzulegen versuchte, wie er in logischer Abfolge die sechs Adressen besuchen würde. Er hatte sie notiert, als das Schreckgespenst eines Täters, der die Morde eines anderen imitierte, zum ersten Mal sein Haupt erhob. Er blätterte in den Seiten des alphabetischen Verzeichnisses, in dem er die Adressen der Tatorte suchte und sich merkte. So könnte er erst einmal ein Gefühl dafür bekommen, wie der Mörder selbst seine eigene Welt sah. Er hatte die Wahl seiner Opfer nicht dem Zufall überlassen, also kannte er wahrscheinlich die Gegend, in der er sie sich gesucht hatte, so gut, dass er sie als Plan vor seinem inneren Auge sah. Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung von dem Ort, dem er sich zugehörig fühlt, durch den seine privaten Wege führen und der durch seine persönlichen Bedürfnisse definiert ist. Ganze Partien
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