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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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Annie entweder einen anderen Weg genommen hat oder zu jemandem ins Auto gestiegen ist. »Und wie ging’s dann weiter?«, frage ich Levi.
    »Ich bin mit dem Buggy zum Bischof gefahren. Er hat ein Telefon. Wir haben einen Suchtrupp organisiert.« Er stöhnt, als kämpfe er gegen ein Gefühl an, das er nicht zulassen darf. »Alle gesunden Männer und Jungen sind gekommen, um zu helfen. Auf Pferden, mit ihren Buggys. Unsere englischen Nachbarn haben ihre Autos genommen, um mitzuhelfen.«
    »Darf ich fragen, warum Sie so lange gewartet haben, um die Polizei zu rufen?«, sagt Goddard behutsam.
    »Die Ordnung verbietet gemeinsame …« Er lässt den Satz unvollendet, als wäre ihm gerade klargeworden, dass religiöse Vorbehalte keine Rolle spielen sollten, wenn ein Kind verschwunden ist. »Ich dachte, wir würden sie schnell finden.« Seine geflüsterten Worte klingen harsch. »Wenn ich es noch einmal …«
    Goddard nickt verständnisvoll.
    »Sie hat gestern Abend nichts zu essen gehabt«, sagt Edna mit kaum wahrnehmbarer Stimme. »Sie hat kein Bett zum Schlafen gehabt.«
    Ich wähle meine Worte mit Bedacht. »Mrs King, Sie sagten, Annie würde manchmal unruhig. Gab es vielleicht einen Streit? Oder hat sie sich über irgendwas geärgert? Wäre es möglich, dass sie absichtlich nicht nach Hause gekommen ist?«
    Levi schüttelt entschieden den Kopf. »Nein. Sie ist ein gutes Mädchen. Das würde sie uns niemals antun.«
    Edna bleibt stumm, schüttelt nicht einmal den Kopf. Doch manchmal ist Schweigen vielsagend, und so registriere ich im Stillen ihre Reaktion. Vielleicht ist sie in etwas eingeweiht, wovon ihr Mann nichts weiß. Manchmal vertrauen sich Töchter ihrer Mutter an …
    »Gab es nicht vielleicht doch Probleme mit Annie?«, beharre ich sanft. »Hat sie gegen Regeln verstoßen? Oder war sie in letzter Zeit wegen etwas unglücklich?«
    Der Blick, den die beiden jetzt wechseln, ist so unmerklich, dass er mir fast entgangen wäre. Doch etwas stimmt hier nicht, ich spüre, dass sie mir Informationen vorenthalten. »Wir sind nicht hier, um über Sie zu richten«, sage ich. »Oder über Annie.«
    »Wir wollen einfach nur Ihre Tochter finden«, fügt Tomasetti hinzu.
    Doch Edna und Levi King hüllen sich weiter in Schweigen. »Hören Sie«, sage ich schließlich, »ich weiß, dass Teenager manchmal Fehler machen. Auch amische Teenager.« Ich sehe Edna eindringlich an. »Selbst gute Mädchen«, füge ich auf Pennsylvaniadeutsch hinzu, und schließe damit Tomasetti und Goddard bewusst aus.
    Kurz darauf nickt Levi. »Annie ist sehr eigenwillig.«
    »Sie ist ein gutes Mädchen«, sagt Edna schnell.
    Bei mir läuten sofort die Alarmglocken. Denn ich weiß, dass Eltern meist nicht grundlos die Tugendhaftigkeit ihres Sprösslings hervorkehren. Wenn sich zum Beispiel das Kind nicht ganz so wohlverhält, wie sie es die anderen glauben machen wollen – wie sie es sich gern selbst einreden wollen.
    Plötzlich bedeckt Edna mit zitternden Händen ihr Gesicht. »Sie ist ein gutes Kind.«
    Ich habe wirklich nicht die Absicht, mir ihren Unwillen zuzuziehen, denn momentan sind die Eltern unsere beste Informationsquelle. Doch wenn ich sie nur mit Glacéhandschuhen anfasse, werde ich nicht das bekommen, was ich brauche, nämlich die Wahrheit – und zwar die ganze.
    Ich lasse das erneute Schweigen bewusst zu, damit sie einen Moment nachdenken können. Schließlich wende ich mich wieder an Edna. »Haben Sie schon mit Annies Freunden gesprochen?«
    »Sie ist meistens für sich.«
    »Hat sie eine beste Freundin?«, beharre ich, denn egal, ob amisch oder englisch, Mädchen in diesem Alter haben immer eine Vertraute.
    Ednas Gesicht hellt sich auf. »Sie hat sich mit dem Mädchen der Stutz’ angefreundet. Letzte Woche sind sie nach dem gemeinsamen Gebet zu einem Singen gegangen. Sie heißt Amy.«
    Ich notiere den Namen. »Wissen Sie, wo die Familie Stutz wohnt?«, frage ich den Sheriff.
    Er nickt. »Nur ein Stück weiter unten an der Straße.«
    Ich wende mich wieder Edna zu. »Fällt Ihnen noch etwas anderes ein, das uns helfen könnte, sie zu finden?«
    Als die Frau meinem Blick ausweicht, sehe ich Levi an. Er starrt auf den Tisch, weiß auch etwas. Ich sehe es an seinen hängenden Schultern, den angespannten Nackenmuskeln. Tomasetti und Goddard bemerken es sicher auch, und wir können nichts weiter tun, als ihnen Zeit zu lassen und zu hoffen, dass sie sich uns gegenüber doch noch öffnen.
    Eine ganze Minute lang sind das Zischen des

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