Toedliche Wut
optimistisch.«
Wir haben schon fast das Ende der Straße erreicht, als ich aus dem Augenwinkel heraus etwas Blaues in der Staubwolke aufblitzen sehe. Beim Blick zurück erkenne ich ein amisches Mädchen im blauen Kleid, das mit einer braunen Papiertüte in der Hand auf dem Seitenstreifen steht und sich tapfer mit dem prallvollen Brombeerstrauch abmüht.
»Stopp«, sage ich unvermittelt.
Tomasetti steigt voll in die Bremsen, und ich werde in den Sicherheitsgurt geschleudert. Der Wagen rutscht kurz, dann fassen die Räder, und er bleibt abrupt stehen. Tomasetti schiebt den Schalthebel auf Parken und sieht mich fragend an. »Amy Stutz?«
»Das Alter kommt hin.«
Ein paar Meter vor uns leuchten Goddards Bremslichter auf. Er fährt an den Straßenrand und hält ebenfalls.
Ich steige aus dem Wagen und gehe auf das Mädchen zu, das mich mit großen Augen ansieht. »Hallo«, sage ich freundlich. »Wei bisch du heit?« Wie geht es dir?
»Ich bin zimmlich gut.« Doch gleichzeitig sieht sie mich an wie einen Axtmörder – und überlegt wohl, schnell nach Hause zu laufen.
»Ich heiße Kate. Ich wollte dir keine Angst einjagen. Ich bin Polizistin.«
»Oh. Guten Tag.« Der Gruß eines wohlerzogenen Mädchens. Sie will nicht mit mir reden, ist aber zu höflich, eine Antwort zu verweigern, wenn ein Erwachsener – selbst ein Englischer – sie anspricht. Ich schätze sie auf etwa fünfzehn Jahre. Sie trägt ein schlichtes blaues Kleid, eine weiße Kapp aus dünnem Stoff, die nicht im Nacken zusammengebunden ist, und ein paar billige Turnschuhe.
»Ich bin auf der Suche nach Mr und Mrs Stutz«, sage ich.
»Sie besuchen gerade die Familie Beiler weiter unten an der Straße. Um sich das Baby anzusehen.«
»Wie heißt du?«
»Amy.«
Ich tue, als interessiere ich mich für die Beeren. »Wie sind denn die Brombeeren?«
»Sehr saftig.« Sie späht in die Tüte. »Nicht allzu viel Ungeziefer.« Sie blickt zum Tahoe. »Sie sind nicht zu verkaufen. Mamm macht Marmelade.«
Sie ist ein hübsches Mädchen, mit haselnussbraunen Augen und Sommersprossen auf der Nase. Ihre Hände sind schmutzig von den Beeren, und am Mund hat sie einen violetten Fleck.
»Kennst du Annie King?«, frage ich.
»Ja.«
Von den dornigen Büschen hat sie Kratzer am Arm, und ich muss an die unzähligen Male denken, als meine Mamm mich zum Pflücken von Brombeeren und Himbeeren schickte. Ich bin immer verkratzt und blutig zurückgekommen, doch die Schmerzen habe ich gern ertragen für den Genuss, den die Beeren mir bereiteten.
»Weißt du, dass sie vermisst wird?«, frage ich.
Das Gesicht des Mädchens ist ganz starr. »Ich habe es gehört.«
»Wir versuchen sie zu finden.«
Sie blickt hinab auf die Tüte in ihrer Hand.
Ich entdecke eine reife Beere unten am Busch, pflücke sie ab und stecke sie mir in den Mund. »Die sind gut.«
»Mein Datt sagt, das liegt am vielen Regen.«
Ich pflücke noch ein paar Beeren und lasse sie in ihre Tüte fallen. »Ich habe gehört, dass du und Annie Freundinnen seid.«
»Sie ist meine beste Freundin.«
Ich nicke. »Ihre Mamm und ihr Datt haben mir gesagt, dass Annie englische Freunde hat. Hat sie dir davon erzählt?«
Das Mädchen weicht ein paar Schritte zurück, als würde ich mit meinen Fragen verschwinden, wenn sie sich selbst entfernt. »Ich weiß nichts darüber.«
Ich lege den Kopf zur Seite und sehe ihr direkt in die Augen. »Bist du sicher?«
Sie fängt an, wie besessen Beeren zu pflücken, reißt Blätter und kleine Zweige mit ab und wirft alles in die Tüte.
»Du bekommst keine Schwierigkeiten«, versichere ich ihr. »Und Annie auch nicht. Wir wollen sie einfach nur finden. Ihre Eltern machen sich große Sorgen.« Wieder pflücke ich ein paar Beeren und lasse sie in ihre Tüte fallen.
Meine Worte scheinen zu ihr durchzudringen. Sie hört auf zu pflücken und senkt den Kopf. »Sie hat zu viele englische Freunde. Sie fährt mit ihnen im Auto. Sie raucht, macht Sachen, die die Englischen machen. Ich hab ihr gesagt, es ist gegen die Ordnung, aber …«
Ich nicke. »Junge Menschen sind manchmal so. Sie machen Fehler.«
Jetzt sieht sie mich zum ersten Mal an, als wäre ich vielleicht doch nicht der Feind.
Mir ist bewusst, dass Tomasetti nur ein paar Meter weiter weg im Tahoe sitzt und uns beobachtet, wartet. »Hat Annie dir von ihrem Freund erzählt?«, frage ich.
Sie schiebt einen dicken Zweig beiseite und löst eine große, violette Beere vom Strauch. » Ja .«
»Kennst du seinen
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