Toedliche Wut
gebracht haben, und sind in unsere Cop-Rolle geschlüpft, die uns beiden wesentlich besser liegt als die im Leichenschauhaus.
»Was weißt du über Karns?«, frage ich.
»Vierundvierzig Jahre alt, selbständig, vor vier Jahren verurteilt. Hat sechs Monate im Lake-Erie-Gefängnis gesessen. Fünftausend Dollar Bußgeld, fünf Jahre auf Bewährung.« Er hat die Informationen alle im Kopf, war also letzte Nacht noch lange wach und hat die Akte gelesen.
»Wie lautete die Anklage?«
»Gesetzeswidrige Nacktaufnahmen einer Minderjährigen.«
»Kinderpornographie.« Das Wort hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund.
»Einige Leute sind ihm schützend zur Seite gesprungen, besonders in den Verhandlungen.« Tomasettis Stimme ist staubtrocken. »Du weißt schon, die feine Linie zwischen Kunst und Pornographie.«
»Wenn man sich gern Bilder von nackten amischen Mädchen ansieht, scheint mir die Linie etwas zu verschwimmen.«
Fünfzehn Meilen nordwestlich von Buck Creek biegen wir in die Doe Creek Road ab, eine schmale, zweispurige Straße, die durch Flussniederungen führt und an einem glitzernden, vom Fluss gespeisten See endet. Nach kaum einer Meile sehe ich den Briefkasten, zwar ohne Namen, aber die Hausnummer stimmt mit der überein, die Goddard uns gegeben hatte.
Tomasetti biegt ab, und wir brettern den Weg entlang.
Wir kommen durch einen Laubwald mit so hohen Bäumen, dass die Sonne die Kronen nicht durchdringt. Nach zwei Kurven und einem steilen Hügel öffnet sich der Wald zu einem großen Platz, auf dem eine prächtige Villa im spanischen Stil thront, mit Stuck, Tonnendach und einem enormen Portikus. Blühende Fliederbüsche und Pfingstrosen zieren den Vorgarten, und eine gerade Linie aus Kiefern markiert die Grundstücksgrenze.
»Nicht schlecht für einen Ex-Knacki«, bemerkt Tomasetti.
»Mit Fotos scheint man ganz gut zu verdienen.«
»Er hat auch ein paar Bildbände rausgebracht.«
Ich weiß, das ist sarkastisch gemeint – Tomasettis Art, mit einigen der frustrierenden Aspekte seiner Arbeit klarzukommen. Zum Beispiel, wenn die Bösen einen Haufen Geld machen. Aber irgendwie will mir kein Lächeln gelingen. »Ein Scheißkerl bleibt ein Scheißkerl, auch wenn man ihn in Designerklamotten steckt.«
»Mir scheint, du hegst ein paar Vorurteile gegenüber diesem Mann«, sagt Tomasetti leichthin.
»Womit du recht haben könntest.« In meinen Augen hat Karns ein minderjähriges amisches Mädchen ausgenutzt und daraus Gewinn gezogen. Die negative Publicity brachte ihm seine fünfzehn Minuten Ruhm, und die Kontroverse machte ihn zu einem reichen Mann.
Tomasetti fährt zur Rückseite des Hauses, wo der Weg in einen Platz mit terrakottafarbenen Steinplatten übergeht. Vor einer Garage für vier Autos wäscht ein Teenager in Badehose und Flipflops einen grünen Jaguar XJ6. Links von mir schimmert das blaue Wasser des Sees durch die Bäume, zudem fällt mein Blick auf eine Art Beobachtungsturm, ein Bootshaus und einen Anlegesteg.
Tomasetti macht den Motor aus und sieht stirnrunzelnd zu dem Jungen hin. »Ich frage mich, ob seine Eltern wissen, dass er hier ist.«
»Und ich frage mich, ob sie wissen, dass Mr Karns gern Fotos von nackten Teenagern macht.«
»Goddard meint, er sei so eine Art Celebrity hier in der Gegend.«
»Verkehrte Welt.«
Beim Aussteigen murmelt er ein wenig schmeichelhaftes Adjektiv vor sich hin. Der Junge hört mit dem Autowaschen auf und starrt uns an, als wir auf dem Gehweg zur Haustür an der Vorderseite marschieren.
Steinstufen führen auf eine Veranda, die sich über die ganze Front des Hauses erstreckt, mit Blick auf den Wald. Etwa ein Dutzend Farne in Hängekörben, zahlreiche Tontöpfe mit roten Geranien und große Töpfe mit prachtvollen Palmen geben dem Ganzen ein tropisches Flair.
Schließlich erreichen wir den Eingang – eine massive Flügeltür aus Mahagoni, auf beiden Seiten mit Oberlichtern aus facettiertem Glas –, ich drücke auf den Klingelknopf, und wir warten, lauschen dem Vogelgezwitscher und sammeln unsere Gedanken. Trotz des zunehmenden Zeitdrucks, dem Tod von Annie King und der bevorstehenden Befragung von Karns spüre ich, wie die Stille und Schönheit dieses Ortes mir hilft, ein wenig zu entspannen.
Nach etwa einer Minute will ich gerade ein zweites Mal klingeln, als die Tür aufgeht. Ein hochgewachsener Afroamerikaner mit blauen Augen und kurzgeschorenen, an den Schläfen ergrauten Haaren sieht uns an, als wären wir zwei Bittsteller, die
Weitere Kostenlose Bücher