Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Pulsadern aufgeschnitten haben soll, dann war das hier sicher nicht die richtige Therapie für sie.«
Draußen auf der Treppe war ein dumpfes Stapfen zu hören und das Knarren uralter Holzstufen. Julia und Frank verstummten und blickten erwartungsvoll durch die offen stehende Tür, bis sich dort ein stämmiger, schwer atmender Mann zeigte. Dr. Schultheiß mochte um die fünfundsechzig sein, etwas korpulent, aber mit einem schmalen Gesicht, seine Haare waren dicht und überwiegend grau, unter der großen Nase trug er einen breiten Schnauzbart.
»Guten Tag, Sie müssen die Kriminalbeamten sein«, keuchte er und wischte sich mit einem Stofftaschentuch die Schweißperlen von der Stirn.
»Stimmt«, erwiderte Julia verwundert. »Durant und Hellmer, Mordkommission.«
»Mein Kollege hat mich angerufen«, erklärte Schultheiß. »Sie haben Glück, ich lege meine Mittagstermine meist erst ab ein Uhr, man weiß nie, was auf der Straße los ist, und Sie sehen ja, ich muss mich erst ein wenig akklimatisieren.«
Er entledigte sich seiner Handschuhe, knöpfte den beigen Kamelhaarmantel auf und klapperte kurz darauf mit einem Schlüsselbund, von dem er einen großen, dunkel angelaufenen Bartschlüssel auswählte. Klackend entriegelte er die Tür, im Inneren entflammten einige Halogenspots.
»Bitte folgen Sie mir.«
Das Sprechzimmer – Julia war sich nicht sicher, ob der Begriff Behandlungszimmer angemessen war – fügte sich ohne Stilbruch in das elegante Ambiente ein, das einzig Moderne waren ein Flachbildschirm und die Telefonanlage, außerdem auch hier die Halogenstrahler, die den Raum gleichmäßig erhellten. Der Schreibtisch, das dahinter liegende Bücherregal sowie eine kleine Sitzgruppe von drei in dunkelrotem Leder bezogenen Lehnstühlen um einen runden Tisch waren in dunklen Holztönen gehalten. An der Wand hing das Porträt eines Pfeife rauchenden Mannes in der Kleidung des achtzehnten Jahrhunderts. Ziemlich antiquiert, dachte Julia, wenn man hier einen Film über Sigmund Freud drehen will, braucht man kaum etwas zu verändern.
»Sie sind der Psychiater von Nathalie Löbler?«, kam sie nach einer kurzen Erläuterung der Ermittlungshintergründe zur Sache.
»Zunächst einmal«, erwiderte Dr. Schultheiß, »gestatten Sie mir die Frage, inwieweit Sie darüber informiert sind, worin der Unterschied zwischen einem Psychologen und einem Psychiater besteht.«
»Ein Psychiater ist ein Arzt und darf Medikamente verschreiben«, überlegte Hellmer laut. »Und ein Psychologe konzentriert sich auf nichtmedikamentöse Behandlungen. Gesprächs- oder Verhaltenstherapie, so etwas, richtig?«
»Grob gesagt, ja«, lächelte Schultheiß. »Mein Kollege und ich arbeiten Hand in Hand, er ist Psychotherapeut, und ich bin Psychiater. Wie Sie ja bereits wissen, bin ich vormittags in einer Klinik tätig, daher beantworte ich Ihre Eingangsfrage einmal mit Ja und Nein. Frau Löbler war nämlich genau genommen unser beider Patientin.«
»Hm.« Julia runzelte die Stirn. »Und bei wem von Ihnen beiden war sie aktuell in Behandlung?«
»Mit dieser Frage untergraben wir im Grunde genommen schon meine Schweigepflicht«, mahnte Schultheiß mit erhobenem Finger, und Julia fiel der protzige silberne Siegelring ins Auge, den er am Ringfinger trug. Bevor sie oder Hellmer aber einen Einwand erheben konnten, sprach der Psychiater bereits weiter. »Die Tatsache, dass die arme Frau Löbler nicht mehr unter uns weilt, lässt mich das zugunsten Ihrer Ermittlung jedoch nicht ganz so verbissen sehen. Sie war zunächst bei meinem Kollegen in Therapie, diese jedoch liegt schon einige Monate zurück. Der jüngste Kontakt war vor einigen Wochen zu mir, es ging um ein Rezept. Daraufhin übernahm ich die therapeutische Begleitung, denn wie Sie vielleicht wissen, gibt es gewisse Medikamente nur unter bestimmten Umständen und Auflagen, dazu gehört es auch, regelmäßig vorzusprechen. Telefonisch bestellen ist bei uns nicht drin, wenn Sie verstehen.«
»Dürfte ohne Sprechstundenhilfe auch schwierig sein«, erwiderte Julia lakonisch.
»Wir kommen gut ohne aus«, lächelte Schultheiß mechanisch. »Und das ist keineswegs unüblich. Je weniger Personen, desto mehr Diskretion. Volle Wartezimmer und ständig klingelnde Telefone gibt es bei uns nicht, dafür begegnen sich die wenigsten unserer Patienten untereinander, und es ist beileibe nicht so, dass wir hier primär von Privatpatienten reden.«
»Ist schon gut, das sollte nicht abwertend klingen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher