Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
dran«, lachte Andrea und winkte ab. »Das meiste ist Naturdarm, den essen wir bei Würsten ja auch, der Rest sieht auch nicht viel anders aus als an der Fleischtheke.«
»Sparen wir uns das, bitte! Erzähl mir lieber was über Löbler und die anderen. So langsam bräuchten wir mal ein paar belastbare Fakten.«
»Kein Problem, dann lass uns ein Käffchen holen, und ich berichte unterwegs. Ich hatte vor zehn Minuten erst Frank am Apparat, der Arme klang reichlich gestresst. Er sagte, du seist unterwegs, und wollte meine Erkenntnisse nicht hören.« Dann machte sie einen Schmollmund und fügte hinzu: »Erkenntnisse, die mich eine halbe Nacht gekostet haben.«
»Willkommen im Club«, erwiderte Julia nur.
In der Cafeteria suchten sie sich einen ruhigen Platz an einem kleinen Tisch, der mit vier Stühlen bestückt war, aber bestenfalls Fläche für zwei Personen bot. Andrea legte ihre Unterlagen ab und blickte Julia fragend an. »Wer zuerst?«
»Löbler.«
»Okay, also zunächst die Totenstarre«, begann Andrea, ohne auch nur einen Blick in ihre Unterlagen zu werfen. »Diese löste sich gegen Mitternacht, bei sechsundzwanzig Stunden Minimum bedeutet das, dass der gute Mann seit zweiundzwanzig Uhr vorgestern tot ist. Kann natürlich auch etwas länger sein, das ist eben die Crux mit dieser Starre.«
»Wenigstens erklärt das, warum wir ihn nicht erreichen konnten«, murmelte die Kommissarin und ärgerte sich maßlos darüber, dass sie ihn nicht früher aufgesucht hatten.
»Ich habe außerdem Simonsche Blutungen im Übergangsbereich zwischen Brust- und Lendenwirbeln«, fuhr Andrea emsig fort, stockte kurz und ergänzte kichernd, »also natürlich habe nicht ich diese Einblutungen, sondern der nette Herr auf meinem Tisch. Sorry, du weißt ja, Rechtsmedizinerhumor. Mit dem Begriff kannst du etwas anfangen, nehme ich an?«
»Vitalzeichen, die darauf hindeuten, dass der Mann erhängt und nicht erwürgt wurde, richtig?«
»Grob gesagt, ja«, nickte Andrea. »Eine Einblutung an dieser Stelle weist darauf hin, dass der Körper in lebendem Zustand einer Zugspannung ausgesetzt wurde, wie sie etwa beim Erhängen an einem Seil entsteht. Wird ein Mensch erwürgt und dann erst zur Tarnung aufgehängt, gibt es diese Blutungen nicht.«
»Wie ist es beim Springen von einem Stuhl?«, wollte Julia wissen.
»Ähnlich, es kommt auf die Fallhöhe an und darauf, wie schnell die Blutzirkulation unterbrochen wird. Generell dürfen wir aber nicht vergessen, dass es auch schon Fälle gab, in denen Simonsche Blutungen post mortem auftraten. Aber für mich sind sie nach wie vor ein guter Grund, um weiterzuforschen. Die Frage nach dem Stuhl allerdings klären wir dann einige Wirbel weiter oben«, lächelte die Rechtsmedizinerin.
»Genick und Zungenbein«, nickte Julia.
»Bingo, der Kandidat hat hundert Punkte. Die Halsweichteile zeigen Spuren gleichmäßiger Kompression, sprechen also für das Seil und nicht etwa ein Würgen mit den Händen. Außerdem lag das Seil gleichmäßig straff. Das Einzige, was mich dabei stört, ist die Tatsache, dass viele Menschen während des Todeskampfes aus dem Überlebensreflex heraus versuchen, mit den Fingern unter ihren Strick zu gelangen. Solche Kratzspuren fehlen hier völlig.«
»Spräche das also für einen Sprung vom Stuhl?«, erkundigte sich Julia.
»Nein, eben nicht. Es spräche zwar in Prinzip für einen raschen Tod, etwa durch Genickbruch, aber genau diese Brüche gibt es nicht. Weder am Zungenbein noch sonst wo. Dort gibt es die übliche Blutschwemmung, aber das ist auch schon alles«, seufzte Andrea schulterzuckend.
»Also passt an der Szene etwas nicht ins Bild, wenn ich dich richtig verstehe.«
»Das Problem ist dieses Kletterseil«, fuhr Andrea fort. »Diese Dinger haben einen gewissen Dehnungsgrad, und jeder Knoten gibt bei der ersten Belastung durch einen starken Zug ein wenig nach. Bei der vor Ort angebrachten Konstruktion könnten das durchaus dreißig, vierzig Zentimeter gewesen sein. Dann die Schlinge, die über den Kopf gelegt und anschließend erst zugezogen wird – noch mal zwanzig Zentimeter. Der Stuhl ist wie hoch, sechzig Zentimeter bis zur Sitzfläche?«
»Äh, ja, so in etwa«, antwortete Julia, der die eben vernommenen Zahlen durch den Kopf schwirrten. Sie erinnerte sich, Löblers Füße hatten schätzungsweise vierzig Zentimeter über dem Boden gebaumelt.
»Ist ja nicht direkt mein Job, aber frag mal Platzecks Jungs«, setzte Andrea wieder ein. »Einer, der sich
Weitere Kostenlose Bücher