Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
»Er hat vor zwei Stunden ganz aufgebracht hier angerufen und gewettert, dass wir ihn seiner Arbeitsgrundlage berauben würden und er seinen Rechner wiederhaben möchte. Frank hat das ganz geschickt gemacht«, grinste sie, »frei nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere. Er hat sich noch einmal akribisch erläutern lassen, wie Schumann zu diesen Mails gekommen ist, und ihm dafür versprochen, sich persönlich um die Laptop-Angelegenheit zu kümmern. Die Notizen dazu liegen auf seinem Tisch, ich kann’s dir aber auch kurz wiedergeben, wenn du willst.«
»Ja, mach mal bitte.«
»Schumann hat vor Silvester einen Anruf erhalten, in dem er gefragt wurde, ob er an einer exklusiven Enthüllung interessiert sei. Ausgewählt habe man ihn, weil er für seinen angriffslustigen Schreibstil bekannt sei und außerdem bei Frankfurts größtem Online-Magazin veröffentlichen würde. Natürlich nahm Schumann begeistert an, er sagte, zu so etwas könne ein Journalist unmöglich nein sagen. Na, und dann kam diese Mail mit dem Foto und diesen pathetischen Zeilen, der Rest ist Geschichte. Wenn Frank nun noch das Alibi überprüft bekommt, dürfte Schumann aus dem Schneider sein«, schloss Sabine ihre Zusammenfassung.
»Ja, wie alle anderen auch«, brummte Julia unwirsch. »Was ist denn mit der Markov, war die da?«
»Phantombild ist so weit fertig, ein erster Entwurf liegt auf deinem Schreibtisch«, antwortete Sabine. »Es ist nicht wirklich der Hit, nur, damit du vorgewarnt bist, aber ich habe eine Kopie bereits in die Taunusanlage gemailt, und wir prüfen auch noch einmal die Fotos gegen.«
»Na, ich schau’s mir mal an.«
Julia schlurfte an ihren Platz, warf Mantel und Tasche lieblos über den benachbarten Stuhl und hob dann stirnrunzelnd das dünne Papier von ihrer Schreibtischunterlage. Der Ausdruck war in blassen Farben, die Gesichtsfarbe wirkte dabei etwas zu gelblich, ansonsten aber war die Kommissarin stets aufs Neue überrascht, wie sehr sich die heutigen Phantombilder doch von denjenigen unterschieden, die sie zu Beginn ihrer Laufbahn kennengelernt hatte. Mit zusammengekniffenen Augen wirkte das etwa zwanzig Zentimeter hohe Porträt beinahe wie eine Fotografie; es zeigte einen Mann mittleren Alters mit feinen, weichgezeichneten Gesichtszügen, einer geraden, markanten Nase, dunklen Augen und kräftigen Augenbrauen. Die Haare waren mattschwarz, auf seine Backen und über das Kinn war ein dunkler Schatten gelegt, der den Bartwuchs simulieren sollte.
»So könnte der Brack auch aussehen, wenn er sich ein Vollbad und einen Friseur gönnen würde«, dachte Julia laut.
»Was meinst du?«
Julia fuhr erschrocken herum. Peter Kullmer hatte sich ihr genähert, ohne dass sie ihn bemerkt hatte.
»Wie? Ach, du bist es.« Sie keuchte, und ihr Herz hämmerte.
»Sachte, sachte, ich wollte dich nicht erschrecken«, lächelte er und legte die Hand an ihre Stuhllehne. »Ist das der Unbekannte, den Frau Markov gesehen haben will?«
»Ja, wobei das alles sehr vage ist«, nickte Julia. »Gestern konnte sie sich kaum an etwas erinnern, heute kommt so ein Bild dabei raus. Wir sollten uns also nicht darauf verlassen. Der Mann kann auch ganz anders aussehen; bei allen Gesichtsattributen, die ein Augenzeuge nicht nennen kann, rechnet der Computer doch nur wahrscheinliche Konturen aus.«
»Ja, aber es ist, wie du gesagt hast: wahrscheinliche. Das ist doch besser als unwahrscheinlich und deutlich besser als gar nichts, oder?«
»Ach, ich habe meinen Optimismus irgendwo zwischen den Todesfällen verloren«, erwiderte die Kommissarin patzig. »Wir gehen ins Wochenende, und draußen läuft ein Mörder herum, ob er nun so aussieht oder rot mit weißen Punkten, ist dann im Endeffekt auch scheißegal.«
»Ach stimmt, du warst ja bei Andrea«, erinnerte sich Kullmer. »Du redest von Morden, hast du das amtlich?«
»So gut wie, ja«, nickte Julia. »Es gibt bei beiden Löblers Anzeichen, die eindeutig gegen Suizid sprechen. Komm, wir ergänzen das gleich mal an der Tapete, derweil erzähl ich’s dir und schaue mir eure Erfolge bei den Alibis an.«
»Die werden dir nicht gefallen«, murmelte Kullmer im Hinausgehen. »Wir haben für Manduschek jeweils wasserfeste Alibis in den Fällen Eisner und Löbler. Beide Löblers, wohlgemerkt. Dabei handelt es sich nicht nur um seinen Terminplan, sondern um bestätigte Treffen. Frau von Eisner war bei allen Todesfällen zu Hause, einmal gemeinsam mit Manduschek, und einmal hatte sie einen
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