Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
meinen, wenn sie einen Nervenzusammenbruch erleidet?«
»Nun, dieses Terminus verwenden wir nicht«, entgegnete Dr. Meurer und klang dabei leicht unterkühlt. »Aber prinzipiell haben Sie recht. Sollte es erforderlich sein, zum Beispiel, wenn Frau Markov in eine Situation akuter Belastung gerät, aus der sie aus eigener Kraft nicht mehr hinausfindet, müssen wir das Gespräch abbrechen. Es kann dabei durchaus sein«, betonte sie, »dass nicht Frau Markov um den Abbruch bittet, sondern ich diesen initiiere. Dieser ärztlichen Anweisung müssen Sie sich dann bitte umgehend fügen, selbst wenn die Patientin dem vehement widersprechen wird.«
»Hmm«, brummte Julia Durant und war alles andere als begeistert von der Aussicht, sich von einer plötzlich recht hochnäsig auftretenden Ärztin ins Verhör reinreden lassen zu müssen. Zeugen und auch Opfer hielten nach Julias Dafürhalten weit mehr aus, als man ihnen zutraute, zumindest gab es viele Fälle, in denen erst ein hartnäckiges Verhör die wirklich interessanten Fakten zutage gefördert hatte.
»Wenn Sie mir nicht gleich beim ersten Konflikt dazwischenfunken, sei’s drum«, nickte sie. »Ist Frau Markov denn suizidgefährdet?«
»Unserer Einschätzung nach nicht«, verneinte Dr. Meurer, kam jedoch nicht mehr dazu, Weiteres zu erläutern.
»Da, sie hat uns bemerkt«, sagte Sabine und deutete auf eine am anderen Ende des Raumes, halb verdeckt durch eine Topfpalme, sitzende Frau, die grüßend die Hand hob.
»Dann legen wir los«, nickte Julia Durant und schritt auf Laras Mutter zu, um ihren Magen zog sich ein gefühltes Gummiband. Sie machte diesen Job nun schon so lange und konnte sich dennoch nicht daran gewöhnen, Menschen derart schreckliche Mitteilungen zu überbringen.
»Wenn du dich je daran gewöhnen solltest«, hatte ihre Freundin Alina Cornelius dazu gesagt, »ist es höchste Zeit für dich, das Handtuch zu schmeißen. Mitgefühl, sosehr es manchmal auch an einem nagt, ist das, was dich menschlich bleiben lässt.«
So weise diese Worte der erfahrenen Psychologin auch klangen und so tief sie in Julias Innerstem verankert waren: Helfen konnten sie ihr in den kommenden Minuten nur wenig. Im Gegenteil. Julia Durant war ganz auf sich allein gestellt.
»Frau Markov?«, begrüßte sie die Fremde freundlich und mit gedämpfter Stimme.
»Helene«, lächelte diese und erhob sich mit ausgestreckter Hand. Bei genauerem Betrachten kam Julia zu dem Schluss, dass diese Frau möglicherweise ein ganzes Stück jünger war als sie. Sie hatte dunkle, beinahe schwarze Haare, dazu ebenso dunkle Augen. Osteuropäische Züge erkannte Julia nicht, doch sie wusste durchaus, dass das Bild der kantigen, blonden Russin bei weitem nicht repräsentativ für alle Osteuropäerinnen war, auch wenn Hellmer oder Kullmer, wie sie bissig dachte, das wohl anders sehen würden. Vor ihr saß eine Frau, die einmal sehr, sehr hübsch gewesen sein musste, nun jedoch, sei es durch Drogen, Alkohol oder traumatische Erlebnisse, hager, in sich gekehrt und beängstigend verbraucht wirkte. Eine Stephen-King-Verfilmung kam der Kommissarin in den Sinn, Thinner – Der Fluch, sie handelte von einem Mann, der durch einen Fluch stetig an Gewicht verlor, bis er nur noch ein Schatten seiner selbst war.
»Julia Durant, und das ist meine Kollegin Sabine Kaufmann«, nickte die Kommissarin und deutete kurz neben sich in Sabines Richtung. »Wir sind von der Kripo Frankfurt, das hat man Ihnen bereits gesagt, nehme ich an?«
»Ja, natürlich.« Frau Markov zuckte unentschlossen mit den Schultern. »Können wir uns setzen?«
Die drei Frauen nahmen nacheinander Platz, Julia und Sabine gegenüber von Helene Markov, Dr. Meurer neben ihr. Dabei hafteten Julias Blicke fest auf der Patientin, die ausgebremst wirkte, vielleicht sogar sediert. Es konnte aber auch sein, dass sie einfach nur fix und fertig war. Sie erinnerte sich an die Medikamente im Schrank …
»Ich möchte wissen, weshalb Sie hier sind«, forderte Helene Markov dann, und ihre Stimme klang alles andere als benebelt. Ihre Fingerspitzen kratzten nervös auf der Oberfläche des Tisches. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen, bin freiwillig hier«, erklärte sie hastig und ungefragt. »Ich hing an der Nadel, an der Flasche und hab ’ne Menge hinter mir, so dass ich mittlerweile mehr Zeit in Behandlung verbringe als draußen. Meine Tochter kümmert sich gut um alles, viel besser, als ich mich je um sie … Aber sagen Sie endlich«, ihr Blick wurde
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