Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Präsidium. Für einen kurzen Moment hatte die Kommissarin beim Losfahren mit sich gehadert, ob ein erneuter Besuch in der Rechtsmedizin sinnvoll sei. Sie wollte endlich wissen, was es mit dem vermeintlichen Selbstmord von Nathalie Löbler auf sich hatte. Es war ihr nicht wohl dabei, ihre Aufmerksamkeit auf zwei Fälle verteilen zu müssen, zumal sich in keinem der beiden etwas zu bewegen schien. Doch stattdessen hatte sie sich für ein Telefonat mit Andrea Sievers entschieden, denn wenn es in der Rechtsmedizin etwas zu sehen gäbe, hätte diese sich längst gemeldet.
»Ich bin noch mitten in der Auswertung, gib mir bitte noch Zeit«, war die entsprechende Antwort.
»Warten, warten«, stöhnte sie, »auf alles und jeden muss ich warten.«
»Gut Ding, meine Liebe, will Weile haben. Ich habe vielleicht ein paar Sachen, die ich schon mal ausschließen kann, aber ein richtiger Durchbruch ist das nicht«, erwiderte Andrea, unbeeindruckt von Julias schlechter Laune.
»Na komm, dann raus damit.«
»Wie bereits vermutet, deutet alles auf Suizid hin, allerdings gibt es durchaus Anzeichen für Stoß- oder Hiebverletzungen, kleine Vernarbungen, leichte Frakturen, Haarrisse und solche Dinge. Vieles davon dürfte mit Blutergüssen einhergegangen sein, aber meistens an Körperstellen, die üblicherweise von Kleidung bedeckt werden. Außerdem dürften die Schäden an den Knochen so leicht gewesen sein, dass wohl nie ein Arzt darauf geschaut hat. Die eine oder andere Verknorpelung weist zumindest darauf hin. Ich muss mir das aber unbedingt genauer ansehen, bevor du dich auf langjährige Misshandlung berufst, okay?«
»Du kennst mich nur allzu gut«, seufzte die Kommissarin. »Bei Misshandlung hört bei mir eben jeder Spaß auf. Hältst du es denn für möglich, dass die Löbler den Schlag ins Gesicht als Auslöser dafür genommen hat, ein vielleicht jahrelanges Martyrium mit dem Tod zu beenden?«
»Das fragst du am besten deine Freundin Alina«, gab Andrea zurück. »Von mir bekommst du lediglich die physischen Analysen, mit Psychologie habe ich nichts am Hut. Aber mach das ruhig, ich sehe mir in der Zeit die Bluttests an. Gegessen hat die Löbler jedenfalls nichts an dem Morgen, das kann ich dir schon sagen. Der Rest kommt dann unaufgefordert, wenn’s recht ist.«
»Okay, ich leg ja schon auf«, verabschiedete sich die Kommissarin und informierte Hellmer über das, was die Rechtsmedizinerin berichtet hatte.
»Wirst du Alina hinzuziehen?«, wollte dieser wissen.
Julia zuckte unentschlossen mit den Schultern. »Weiß nicht. Aber ich würde schon gerne einmal über den Selbstmord mit ihr sprechen, außerdem könnte ich ihr bei dieser Gelegenheit den Mordfall Emmels schildern. Einen Profiler werden wir wohl nicht brauchen, aber ich würde gerne durchspielen, inwieweit Karl von Eisners Persönlichkeit zu den Tatumständen passt.«
»Klingt doch gut, soll ich dich begleiten?«
»Lass mal. Ich mache das nachher kurz vor Dienstschluss und will hinterher gleich nach Hause. Je eher ich in die Kiste komme, desto besser. Dann denke ich wenigstens nicht die ganze Zeit daran, dass wir ohne echtes Vorankommen auf zwei verdammten Todesfällen sitzen. Das Schlimmste dabei ist: Wenn die Löbler sich die Pulsadern aus lauter Verzweiflung aufgeschnitten hat, so hockt der Verantwortliche unbehelligt herum, drückt ein wenig auf die Tränendrüse, aber ist am Ende trotzdem fein raus. Das kotzt mich an, aber mächtig, das sage ich dir.«
»Genau deshalb solltest du die Gelegenheit nutzen, dich mit Alina zu treffen. Warum nicht gleich? Der Tag ist sowieso bald vorbei. Ich schnappe mir derweil Peter oder Sabine, und wir treten diesem Löbler noch mal sanft auf die Zehenspitzen. Dazu brauche ich keinen endgültigen Befund von Andrea, denn an den Fakten, dass seine Frau in der Badewanne an aufgeschnittenen Pulsadern starb und dass ihr Körper über einen längeren Zeitraum hin immer wieder Verletzungen ausgesetzt war, gibt es ja nichts zu rütteln. Das reicht doch, um mit Nachdruck zu bohren.«
Julia musste grinsen, als sie Hellmers theatralische Mimik beobachtete, er rieb sich die Hände, als freue er sich auf diese Vernehmung.
»Ach du«, erwiderte sie matt. »Weißt noch immer, mich aufzuheitern.«
»Na, wofür hat man denn einen Partner?«
Sie hatten den Fahrstuhl verlassen und schlenderten durch den tristen Gang in Richtung Büro, als Berger vor ihnen auftauchte.
»Kommen Sie gleich zu mir«, rief er, machte auf dem Absatz kehrt und
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