Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Karl von Eisner, und die S-Laute kamen dabei nur dumpf unter der schweren Zunge hervor.
»Das erfährst du noch früh genug. Bis dahin: Klappe halten!«, befahl Arthur Drechsler.
»Wollen S…Sie Geld?«, kam es sogleich, und Arthur hätte seinem Gefangenen am liebsten den Schaft der Waffe über den Kopf gezogen.
»Ich will, dass du schweigst, sonst stopfe ich dir das Maul!«
»Schon gut, schon gut«, nickte von Eisner ausladend.
Schweigend verließen sie den Aufzug wieder und durchquerten kurz darauf einen kühlen Flur, dessen nackte Betonwände nicht zum eleganten Design der anderen Etagen passten. Hierher, so wusste Arthur, verirrt sich kein Schwein, außer ab und an mal ein Techniker. Im Gegensatz zu anderen Hochhäusern stand das Dach dieses illustren Gebäudes nicht für den öffentlichen Pöbel zur Verfügung, man blieb hier unter sich, nur ganz selten kamen Kamerateams oder Künstler, aber das hielt sich in Grenzen. Genau der richtige Ort, um ungestört einen klaren Kopf zu bekommen, wie Arthur mit einem hämischen Grinsen fand.
»Los, raus da!« Er stieß Karl von Eisner grob ins Freie, pfeifend fuhr der Wind durch die geöffnete Tür und stach in den Augen, und beim ersten Atemzug strömte die eisige Luft schneidend in die Lungenflügel.
Keuchend taumelte der Direktor ins Freie, musste sich abstützen, wankte kurz und lehnte sich dann an die mannshohe Verkleidung der Aggregate der Gebäudelüftung. Es summte im Inneren, ansonsten war außer dem Wind kaum etwas zu hören, der Puls der Stadt lag viel zu weit unter ihnen. Karl von Eisner fröstelte, im Gegensatz zu Arthur Drechsler trug er nur ein dünnes Oberhemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren. Er nestelte daran herum, rieb sich dann die Schläfen. Arthur ließ ihn nicht aus den Augen. Eine erbärmliche Gestalt, dachte er bei sich, man sollte gar nicht meinen …
»Reden Sie endlich«, platzte es dann aus von Eisner heraus, und erstaunlicherweise klang seine Stimme deutlich fester und nüchterner als noch Minuten zuvor.
»Ich habe nicht viel zu sagen«, erwiderte Arthur und trat neben ihn. Er hakte seinen rechten Arm um von Eisners linken und zog ihn langsam mit sich. »Aber ich möchte dir etwas zeigen. Keine Angst, ich schieße dich schon nicht über den Haufen. Aber mach mir nur keine Sperenzchen!«
Wie ein trotziges Kind schlurfte der Direktor die wenigen Schritte bis zur Brüstung, an dessen hüfthoher, mit Eiskristallen überzogener Mauer sie stehen blieben.
»Deine Stadt«, sagte Arthur und ließ den Finger über das bunte Lichtermeer wandern, das unter ihnen lag. Seine Augen folgten dem Main, er durchschnitt die Stadt wie ein schwarzer Gürtel, und in seinem Wasser spiegelten sich die Fassaden der Häuser. »So hast du sie immer genannt, deine Stadt, erinnerst du dich?«
Eisner glotzte ihn nur mit glasigen Augen an, schien nicht zu begreifen. Arthur zog seinen Schal hinunter, er war feucht von seinem kondensierten Atem, und bleckte herausfordernd die Zähne.
»Du bist der King, der Obermacker, und alles andere bleibt auf der Strecke«, sprach er weiter. Langsam, wie in Zeitlupe, schien der benebelte Gesichtsausdruck sich zu erhellen.
»Das ist doch …«, stammelte er schließlich mit vor Entsetzen geweiteten Augen. »Aber wie …«
»Manche Dinge ändern sich nie, ganz einfach«, erwiderte Arthur trocken. »Und nun schau sie dir an, deine Stadt, du großer Zampano.« Er drückte von Eisners Oberkörper abrupt nach vorn, so dass dieser beinahe die Balance verlor und sich verzweifelt an die Brüstung klammerte.
»Du blickst hinab in einen tiefen Abgrund, einen sehr tiefen, das kann ich dir versichern«, keuchte Arthur. »Weitaus tiefer als paarundfünfzig Etagen, doch höher konnte ich dich leider nicht bringen. Siehst du es, mein Lieber? Siehst du den Abgrund, der dich nun umgibt?«
Doch Karl von Eisner ging nicht darauf ein, sondern versuchte mit aller Kraft, sich freizuwinden.
»Lass mich«, keuchte er.
»Vergiss es. Zuerst schaust du hinab in den Abgrund, und dann denkst du daran, was Nietzsche gesagt hat. Der steht doch bei dir im Büro, wenn ich mich nicht irre. Was sieht der Abgrund, wenn er zurückblickt? Na, was sieht er wohl?«, wiederholte er verächtlich. Karl von Eisner schwieg, kämpfte noch immer gegen Arthurs Umklammerung.
»Verdammt, lass mich los!«, heulte von Eisner. »Hilfe!«
Der gleichgültige Alkoholrausch war dem verzweifelten Überlebensinstinkt gewichen.
»Du hast genügend Sünden begangen für
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