Tödlicher Applaus
Licht auf Toms neues Zuhause.
Er zog das Rollo herunter und fuhr mit einer Hand über das Laken, um sich zu vergewissern, dass es sauber war. Dann zog er sich aus und legte sich aufs Bett.
Wie lange würde er das noch aushalten? War es das alles wert? Sollte er sich nicht besser stellen und darauf hoffen, dass die Gerechtigkeit ihm zu Hilfe kam? Warum war er zurück nach Wien gekommen, statt sich so weit wie möglich abzusetzen? Er versuchte, die Gedanken in seinem Hirn zu einem tragfähigen Plan zu sortieren, doch sie drehten sich immer nur im Kreis.
Draußen auf dem Flur herrschte reger Verkehr, und die Wände zwischen den Zimmern waren extrem dünn. Er hatte das Gefühl, in einem Orchestergraben zu sitzen und einer Oper zu lauschen, die von der Geilheit der Welt handelte, von den Trieben und Abgründen der Menschen, ihren geheimen Bedürfnissen und ihrer Sehnsucht nach Erniedrigung und Gewalt. Musik der Gegenwart in ihrer krassesten Form. Doch inmitten all dieses Chaos erwuchs in Toms Hirn ein klarer Gedanke: Er musste handeln, die Dinge ins Laufen bringen. Es gab nur eine Möglichkeit, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien: Er musste seine Unschuld beweisen und den wahren Täter finden. Tom war überzeugt davon, dass der Schlüssel dazu im Umfeld von Rudi Maier zu suchen war, und nahm sich vor, diesen Schlüssel zu finden.
Die Geräusche der nächtlichen Aktivitäten ringsumher begannen ineinanderzufließen und wurden zu einem gleichmäßigen Brei aus Lärm, der ihn weich und effektiv von der Wirklichkeit abschirmte. Tom presste die Hände auf die Ohren und versuchte, eine Muskelgruppe nach der anderen in den Schlaf zu schicken.
David Goldberg
Cathrine Price stand früh auf. Sie nahm auf ihrem Zimmer ein sogenanntes Fitnessfrühstück zu sich, bestehend aus Müsli, Trauben und Nüssen, die die ganze Nacht über in Milch gelegen hatten und entsprechend weich waren. Sie hatte sich einen Stadtplan besorgt und markierte die Orte, an denen David Goldberg und die diversen Rudi Maiers wohnten. Da ihr der Fall entzogen worden war, wollte sie Rudi Maier nicht in Kamarovs Geschäftsräumen aufsuchen. Das war zu offiziell. Es war besser, ihn zu Hause aufzusuchen.
Ein Rudi Maier wohnte im 19. Bezirk, einer im 4., einer im 10. und der letzte im 3. Bezirk. Auf jeden Fall würde sie auf diese Weise etwas von Wien zu sehen bekommen. Das war immerhin auch schon was.
Sie hatte gerade mit Cecilie gesprochen, die bei ihren Eltern war. Matthias hatte sich geweigert, die Verantwortung für das Mädchen zu übernehmen, und überhaupt war er bei ihrer Abfahrt sehr distanziert gewesen. War er eifersüchtig? Das wäre wirklich lächerlich! Mit Tom war sie fertig, sie hoffte nur, den Vater ihrer Tochter vor einer Mordanklage zu bewahren.
Ihr Handy signalisierte ihr den Eingang einer SMS. Sie war von Matthias. »Liebe Cathrine, ich brauche eine Pause. Ich ziehe heute aus. Wir reden später. M.«
»Arschloch!« Cathrine schickte die SMS ab und schob das Tablett mit dem Frühstück zur Seite. Dann nahm sie Stadtplan und Tasche und knallte die Tür so laut hinter sich zu, dass das Zimmermädchen draußen auf dem Flur zusammenzuckte.
»Grüß Gott«, stammelte das Mädchen.
Grüß den Scheiß Teufel!, dachte Cathrine und sah das Mädchen verärgert an, das sich sogleich voller Inbrunst über einen Fleck am Fußboden hermachte.
Unten öffnete ihr der Piccolo die Tür zur Straße, wo ein Taxi wartete. Sie gab dem Jungen zwei Euro, worauf er ehrerbietig seine Hand an die Mütze legte, die er zu der Uniform und dem Umhang trug.
Einen Plan hatte sie noch nicht. Sie würde wohl improvisieren müssen. Cathrine stieg ins Taxi und sah sich auf dem Weg neugierig in der Stadt um. Sie war zum ersten Mal in Wien, und die große, raumgreifende Architektur mit den breiten, luftigen Straßen und den großen Plätzen beeindruckte sie. Eine Stadt, wie geschaffen für Sonntagsspaziergänge. Pferdekutschen standen aufgereiht vor dem Burgtheater. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, und alles wirkte idyllisch und so viel heiterer, als es in Cathrines Wirklichkeit war. Sie seufzte.
Das Taxi hielt vor einem großen Haus im tschechischen Stil an. Die Klingel, auf der der Name Rudi Maier stand, ließ auf eine Wohnung im ersten Stock schließen. Sie betätigte sie, senkte ihre Schultern und konzentrierte sich auf ihre Atmung, während sie auf eine Antwort wartete.
Dann knackte es in der Gegensprechanlage: »Hallo, wer ist
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