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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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persönlicher Höhepunkt.« Der Junge beugte sich vor. »Wusstest du, dass Brücken und künstliche Zähne sich lösen, wenn man einen Patienten mit Elektroschock behandelt? Du hättest sehen soll, wie sie Richter aus dem Mund geschossen sind, als ich den Rasierer fallen gelassen habe. Sie fuhren wie vergoldete Schiffe aus seinem Mund in das Meer aus Rosen und schwebten auf dem Wasser wie venezianische Gondeln, die vom Dogenpalast ablegen. Unbeschreiblich schön. Fehlte nur noch Offenbachs Barcarole .«
    »Du bist dabei, die Kontrolle zu verlieren, merkst du das denn nicht? Hör jetzt auf, sonst stürzt du noch uns beide ins Unglück. Dann wäre alles, wofür wir gearbeitet haben, vergebens gewesen.« Die letzten Worte kamen leise wie das Rauschen des Windes. Das Schiff wurde langsamer und legte am Kai an. Der Ältere wich etwas zurück und blickte weg.
    Als er in Richtung Landgang ging, sagte der Jüngere: »Ich höre, was du sagst.«
    »Gut! Dann verhalte dich danach.« Der Ältere drehte sich nicht um, legte als Zeichen des Abschieds aber einen Finger an den Hut. Dann ging er an Land.
     

In bocca al lupo
    Tom Hartmann stieg aus dem Zug, noch ehe das Kreischen der Bremsen verstummt war. Scheißwetter, dachte er. Es war ein seltsames Gefühl, die kalten Regentropfen auf dem kahl geschorenen Schädel zu spüren, die sich erstaunlich anfühlten. Er schlug den Jackenkragen hoch und lief über die Ringstraße.
    An einem Zeitungskiosk vorbei schrien ihm die Schlagzeilen und Bilder entgegen: »Der Opernmörder!« – »Das Monster schlägt wieder zu!« – »Die internationale Opernwelt zittert!« – »Die kulturelle Welt bricht zusammen!« – »Stirbt die Oper mit den Tenören?« Einige Fotos zeigten den verstümmelten Arpata, der gerade von den Sanitätern weggetragen wurde. Von ihm war kein Bild zu sehen. Jetzt zahlte sich aus, dass er die Öffentlichkeit immer gescheut und nie sein Konterfei neben seinen Artikeln abgedruckt hatte. Eitelkeit hat ihren Preis, dachte er und freute sich darüber, diesen Preis nicht zahlen zu müssen.
    Ein Wochenblatt hatte ein Bild von Katja Henning auf der Titelseite. Arme Katja. Tom zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Er durfte nicht zu weit im Voraus denken, musste ein Problem nach dem anderen lösen. Er hatte Bargeld genug, um noch eine ganze Weile durchzukommen, und ohne Haare und Bart war er kaum wiederzuerkennen. Außerdem rechnete wohl niemand damit, dass er wieder in Wien war.
    Jetzt galt es, einen Ort zu finden, an dem er übernachten konnte, ohne sich ausweisen zu müssen. Mit dem gestohlenen Pass wollte er nicht einchecken, weil er die Folgen nicht abschätzen konnte. Als er an einer üblen Absteige vorüberging, kam ihm eine Idee.
    Er öffnete die Tür und trat an den Tisch, den man nur mit viel Wohlwollen als Rezeption bezeichnen konnte. Neben einer Stehlampe mit einer farbigen Glühbirne führte eine Treppe nach oben. Im Flur roch es sauer nach Tabak, Schnaps und Urin. Es war niemand zu sehen, allerdings stand eine Tür zu einem Hinterzimmer offen. Tom räusperte sich, und ein kräftiger Kerl mit tätowiertem Schädel tauchte auf. Er hatte gewaltige Schultern, und seine Oberarmmuskulatur war derart aufgeblasen, dass man besser jeder Konfrontation aus dem Wege ging. Der Muskelprotz rülpste laut, als er an den Tisch trat und Tom mit einem uninteressierten Blick musterte.
    »Ja bitte?« Die Stimme des Mannes war überraschend hoch.
    Könnte ein guter Tenor sein, dachte Tom. Dann wurde ihm seine Situation wieder bewusst und er flüsterte: »Ein Zimmer für die ganze Nacht.«
    Der Mann strahlte professionelle Gleichgültigkeit aus. »Fünfzig Euro plus fünf Euro für Handtuch und Seife.«
    Tom bezahlte und bekam den Schlüssel mit der Nummer 510. Als er sich nach einem Aufzug umsah, grinste der Mann amüsiert. »Nehmen Sie die Treppe!« Er rülpste ein weiteres Mal laut und hemmungslos und verschwand wieder im Hinterzimmer.
    Auf der Treppe lagen Glassplitter von zerbrochenen Flaschen, Kondome, eine Spritze und eine zerknüllte Küchenrolle. Tom achtete genau darauf, wohin er seinen Fuß setzte.
    Das Zimmer bestand aus vier Wänden und einer Matratze mit einem Bettlaken darauf. Es gab weder Bettzeug noch Kissen. Stattdessen hing eine Rolle Küchenpapier an der Wand. Neben dem Fenster, von dem aus man auf einen trostlosen Hinterhof blickte, in dem sich Container und Schrott stapelten, befand sich ein Waschbecken. Eine einzelne kahle Glühbirne warf ihr grelles

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