Tödlicher Applaus
bestellt haben, um mit mir über Autos zu reden.«
»Es ist schwierig, auf Luxus zu verzichten, wenn man ihn einmal genossen hat. Möglicherweise wirst du genötigt sein, das Auto und das Haus zu verkaufen, Werner.«
»Wie bitte?« Diepold suchte nach dem Motiv für diese Aussage, alle Sinne geschärft. Kamarov war ein Hai, an dessen Seite er nun seit zwanzig Jahren schwamm. Trotzdem war er nie ganz sicher, ob der Hai ihn nicht eines Tages angreifen würde.
»Ich muss Konkurs anmelden, und das ist deine Schuld, Werner.«
»Meine Schuld?«
»Du hast die Ware nicht geliefert. Du hast einen untauglichen Stab. Dieser Lochmann ist ein elender Blender. Dass ein ganzes Polizeikorps nicht in der Lage ist, Tom Hartmann zu finden, ist nicht nur ein Skandal, es ist eine Tragödie. Du hast ja wohl mitbekommen, dass alle meine Sänger in Streik getreten sind! Sie weigern sich, eine Bühne zu betreten, solange der Mörder nicht gefasst ist. Das heißt im Klartext: null Cashflow, Werner. Und nicht nur das: Opernhäuser auf der ganzen Welt werden mit ihren Schadensersatzforderungen Schlange stehen. Ohne den Cashflow von den Opernhäusern kann ich aber meinen Verpflichtungen nicht nachkommen. Es ist ein Desaster.«
»Willst du mir drohen?« Werner Diepolds Gesicht verzog sich, und seine Gesichtshaut nahm einen leichten Rotton an.
»Nein, ich drohe dir nicht, Werner, ich sage dir nur, wie die Realität aussieht, wenn du Tom Hartmann nicht bald schnappst. Ich gehe vor die Hunde. Und wer weiß, ob die Konkursmasse einer Wirtschaftsprüfung standhält? Aber wenn ich untergehe, werde ich dich mit in den Abgrund reißen. Du wirst für deine Beteiligung an einer milliardenschweren Geldwäsche verurteilt werden.«
»Der Teufel soll dich holen, Victor! Du hast doch überhaupt keine Beweise.«
»Nein? Ich habe Kopien von jedem einzelnen Scheck, Werner. Wie willst du denn mit einem Polizistengehalt dein Haus erklären? Und den Jaguar? Du bist fertig, Werner. Finde Tom Hartmann und töte ihn.«
»Und wenn er es gar nicht war? Wir verfolgen auch noch andere Spuren. Außerdem ist dieser Fall nicht auf Österreich begrenzt. Die Augen der ganzen Welt sind auf uns gerichtet. Da kann man sich keinen Fehler erlauben.«
»Wir müssen die Maschinerie wieder in Gang setzen, Werner. Entscheide dich: du oder Tom Hartmann. Willst du dich wirklich opfern, damit er überlebt? Finde ihn und töte ihn, damit du selbst überlebst.«
Werner Diepold stellte den Whiskey beiseite. Ihm war der Appetit auf Alkohol vergangen. Die Welt war durch die solide Teakholztür gedrungen und veranstaltete einen Höllenlärm. Victors Worte waren ebenso unangenehm wie unmissverständlich.
Er stand auf und ging zur Tür. Als er nach der Klinke griff, drehte er sich noch einmal um und sagte: »Victor.«
»Werner«, sagte Kamarov und nickte.
Werner Diepold schloss die Tür zu Kamarovs Welt hinter sich. Er ging die Treppe hinunter und trat auf die Straße. Die milde Spätsommerstimmung vermochte nicht die dunkle Wolke zu vertreiben, die sich über Werner Diepolds Dasein gesenkt hatte. Noch zehn Minuten zuvor war er ein gemachter Mann gewesen. Jetzt bestand das Risiko, dass er alles, auch sein Ansehen verlor. Er lief raschen Schrittes zum Polizeipräsidium und verfluchte den Tag vor bald zwanzig Jahren, als Victor Kamarov in sein Leben getreten war.
Sie waren sich in einer Bar begegnet, wo sich die Angestellten der Polizei nach Feierabend gerne trafen, und waren über einem Glas Bier ins Gespräch gekommen. Diepold, der einmal Gesangsambitionen gehabt hatte, fand es aufregend, einen echten Impresario zu treffen. So lud Kamarov den jungen Polizisten in die Oper und auf Premierenfeiern mit berühmten Solisten ein. Bald nannte Diepold Größen wie James Medina beim Vornamen, hatte Verabredungen mit berühmten Solistinnen und wurde zu einem Insider des Opernmilieus. Er hatte eine Eintrittskarte zur Welt der Berühmten bekommen und aß Kirschen mit den ganz Großen.
Nach einer Weile hatte Kamarov begonnen, ihn um kleine Gefälligkeiten zu bitten: einen Blankopass für einen gemeinsamen Freund etwa, einen Sänger, der keine Arbeitsgenehmigung hatte. Doch mit der Zeit hatten die Aufträge ihren Charakter verändert. Kamarov forderte nun Insiderinformationen und wollte unter anderem über geplante Razzien informiert werden. Um keinen Preis hätte Diepold seine Opernkontakte aufgegeben. Er liebte das Leben, das er inzwischen führte, und lieferte, was von ihm verlangt
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