Tödlicher Applaus

instinktiv aus. Die Zunge schwoll an, und er verlor das Gefühl in seinem Oberkiefer.
    Rudi Maier stand über ihn gebeugt da und zielte mit einer Pistole auf seinen Kopf. »Interessante Lektüre? Der Laptop hat einen Sender, der sich einschaltet, sobald der Rechner geöffnet wird.«
    Tom wusste, dass er erledigt war, machte sich absurderweise aber mehr Sorgen um seine Zähne als um sein Leben. Seine Zungenspitze schob sich immer wieder hinter die oberen Schneidezähne. Rudi schlug ihm mit der Pistole gegen die Schläfe, und Tom spürte, wie sein Körper schlaff wurde und er seine Bewegungen nicht mehr kontrollieren konnte. Er versuchte zu sprechen, doch aus seiner Kehle kam nur ein heiseres Gurgeln.
    Rudi Maier huschte katzengleich durch den Raum und stopfte Toms Sachen in eine große schwarze Tasche. Als er fertig war, warf er sich die Tasche über die Schulter und packte Tom. »Eigentlich würde ich Sie am liebsten einfach hier liegen lassen und die Polizei per SMS benachrichtigen. Aber da Sie so verdammt neugierig sind, machen wir zwei uns jetzt auf den nicht ganz unbeschwerlichen Weg in die Hölle.«
    Er zog Tom hoch und presste ihm die Mündung der Waffe in die Rippen. Dann zwang er ihn vor sich her über den dunklen Flur und die Treppe nach unten in Richtung Hinterausgang. An der Rückseite des Hotels wartete bereits sein Zwillingsbruder.
    »Tom, das ist Hans, Hans, das ist Tom.« Rudis Formvollendung mutete beinahe makaber an.
    »Es ist mir ein Vergnügen, Sie endlich persönlich kennenzulernen, Herr Hartmann.« Auch Hans schien ein Freund von Konventionen zu sein.
    Schockiert stellte Tom fest, wie ähnlich sich die Brüder sahen. Er suchte nach Unterschieden, konnte aber keine feststellen.
    »Der einzige Unterschied zwischen uns stammt von Menschenhand«, sagte Hans, der Toms Gedanken erraten hatte. Er zeigte seine Hände. »Alle meine Finger sind intakt, aber Rudi war als Kind oft frech und musste bestraft werden.«
    Rudi hob die Hand mit dem verstümmelten kleinen Finger. Dann legte sich ein entschlossener Zug auf sein Gesicht, und seine Stimme klang hart, als er fragte: »Hast du den Schlüssel?«
    Hans tauschte die Autoschlüssel mit seinem Bruder. »Ich stehe direkt vor dem Eingang.« Er verschwand im Gebäude.
    Rudi reichte Tom ein Taschentuch. »Wischen Sie sich das Gesicht ab, Sie sehen schrecklich aus.«
    Tom tupfte sich das Blut ab, so gut es ging. Zitternd sah er, wie rot das Taschentuch wurde. Ihm wurde schlecht, aber Rudi schob ihn weiter. »Reißen Sie sich zusammen, los, und gehen Sie anständig! Wenn Sie versuchen, irgendwelchen Unsinn zu machen, rufe ich laut Ihren Namen. Die Leute werden Sie in Stücke reißen.«
     

Ikarus
    »Du hattest einen Schutzengel, Papa! Nicht nur einen, es muss ein ganzes Heer gewesen sein.« Maria Kamarov hörte sich gleichermaßen glücklich, besorgt und verzweifelt an.
    Kamarov sah sich um. Grelles Licht, blass gestrichene Wände mit billigen Kunstdrucken, blank gescheuertes Linoleum, ein stählernes Waschbecken. Krankenhaus. Er hasste Krankenhäuser, war aber allem Anschein nach in einem gelandet. Nur gut, dass Maria an seinem Bett saß.
    Der Arzt, der sich über ihn beugte und mit einer Taschenlampe in seine Augen leuchtete, schüttelte verwundert den Kopf. »Eine kräftige Gehirnerschütterung, ansonsten sind Sie unverletzt. Können Sie mir sagen, wie Sie heißen, wer Sie sind und wo Sie wohnen?«
    »Warum?«
    »Tu doch einfach, was er sagt, Papa! Du musst hier nicht auch noch die Kontrolle haben!«
    »Nur um sicherzugehen, dass Ihr Gedächtnis funktioniert.« Der Arzt zwinkerte Maria zu.
    »Victor Kamarov, Impresario, wohnhaft in Grinzing im 19. Bezirk. Geboren am 15. April 1959.«
    »Ausgezeichnet, sehr gut, Herr Kamarov.«
    »Was ist passiert?«
    »Sie haben die Kontrolle über Ihren Wagen verloren. Der ist wie ein Gummiball zwischen Felswand und Leitplanke hin und her geschleudert und jetzt Totalschrott.«
    »Ich muss zurück in die Oper, Papa. Versprich mir, dass du tust, was der Arzt dir sagt!«
    »Ich verspreche, genau das zu tun, was du sagst, daragaja Masha, geliebte Maria.«
    Maria küsste ihren Vater auf die Stirn und verschwand durch die Tür.
    Victor sank zurück auf die Kissen. Es war absurd, aber sein erster Gedanke war, wie oft er den Wagen beliehen hatte. Jetzt war er ein Wrack. Er hoffte nur, dass er daran gedacht hatte, die Versicherung zu zahlen.
    Er war kaputt und fühlte sich zugleich merkwürdig wiederhergestellt nach dieser kurzen