Tödlicher Applaus
vollen Preis zu bezahlen, Rudi. Aber du musst mir helfen. Wir tun es um der Sache willen, für Mama. Abgemacht?« Hans streckte die Hand aus.
Rudi ergriff sie und bereute es noch in derselben Sekunde. Der Stich war kaum spürbar, aber noch ehe die Lähmung einsetzte, begriff Rudi, was geschehen war. Dann gehorchten seine Muskeln ihm nicht mehr, und er sackte kraftlos in sich zusammen.
»Es tut mir leid, Rudi. Aber ich kann nicht riskieren, dass du mich im entscheidenden Augenblick im Stich lässt. Ich liebe dich, Rudi. Aber ab und zu muss man dich vor deiner eigenen Dummheit bewahren.«
Hans nahm Rudis Mobiltelefon und ging die eingegangenen Meldungen durch. Er fand Marias letzte Nachricht: »Deine Küsse sind wie Balsam für meine Stimme. Ich fürchte, ich brauche vor der Premiere noch Nachschub … Deine Maria.« Er tippte eine Antwort ein und drückte auf Senden: »Wenn es nach mir geht, balsamieren meine Küsse deine Stimmbänder für den Rest unseres Lebens! Dein Rudi« Dann machte er sich an die letzten Vorbereitungen. Hans hatte keine Bedenken und sah dem nächsten Tag erwartungsvoll entgegen.
Die Ruhe vor dem Sturm
Hans Maier holte Maria am frühen Nachmittag zu Hause ab, um sie zur Oper zu fahren. Maria hatte darauf bestanden, zeitig aufzubrechen. Das passte ihm ausgezeichnet, denn die Sicherheitskontrollen würden am frühen Nachmittag noch nicht so streng sein wie kurz vor Beginn der Vorstellung. Es gab noch das eine oder andere im Zuschauerraum zu organisieren, bevor der Sturm losbrach.
Maria sah fantastisch aus. Er konnte gut verstehen, dass sein Bruder sich in sie verguckt hatte. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn, und ein Duft nach Honig und Himbeeren stieg in seine Nase. Nach dem Kuss sah sie ihn prüfend an.
»Komisch, deine Küsse sind heute irgendwie anders.«
»Nicht schlechter, hoffe ich?« Hans lachte, aber sein Herz setzte wegen ihres Kommentars kurz aus.
»Auf keinen Fall schlechter, einfach nur anders.« Maria musterte Hans auf eine Weise, die ihm unangenehm war.
»Das ist das Lampenfieber vor der Premiere.« Er startete den Motor und fuhr an, froh, sich auf das Fahren konzentrieren zu können. Er gab sich Mühe, so gelassen wie möglich zu wirken.
»Hast du denn Lampenfieber?«
»Selbstverständlich. Es ist viel schlimmer, im Zuschauerraum zu sitzen, als auf der Bühne zu stehen. Wenn du erst einmal dort oben bist, kann ich nichts mehr für dich tun, wenn etwas schiefgeht.«
»Es wird nichts schiefgehen, Rudi. Nicht, solange du im Publikum sitzt.«
Sie fuhren an dem Café vorbei, in dem Hans Tom Hartmann abgesetzt hatte, bevor er zu Maria gefahren war. Er sah Hartmann an einem Fenstertisch sitzen, eine Tasse Kaffee vor sich und nervös in einer Zeitung blätternd. Von dem Café aus hatte man einen guten Blick auf die Oper.
Hans stellte den Wagen ab, ging herum und öffnete die Beifahrertür für Maria. Sie hakte sich gut gelaunt bei ihm unter und ging dicht an ihn geschmiegt zum Bühneneingang.
Ein Polizist in Zivil mit einem Stöpsel im Ohr hielt sie auf, als sie den Vorraum betraten. »Arme ausstrecken!« Sein Ton war barsch.
Hans streckte die Arme zur Seite.
»Hallo, das ist der Star des Abends mit seinem Manager. Behandeln Sie die beiden freundlich!«, rief Regisseur Philip Wassermann aus dem hinteren Teil des Raumes. Der Polizist hielt peinlich berührt inne, beendete seine Leibesvisitation und winkte sie vorbei.
»Tut mir leid«, sagte er und errötete leicht, als Maria ihn ansah. »Ich habe Order, alle Leute, die hier reinkommen, gründlich zu untersuchen … Ich folge nur meinen Anweisungen.«
»Wir wissen Ihre Gewissenhaftigkeit sehr zu schätzen«, sagte Hans und nickte dem Polizisten anerkennend zu. »Gehen wir?«
Philip Wassermann hielt ihnen die Tür auf. Hans hatte für Maria ein wenig Zeit auf der Bühne erbeten, damit sie sich von Wassermann letzte Regieanweisungen geben lassen konnte, ehe der Vorhang aufging. Das wiederum verschaffte Hans genügend Zeit, um im Zuschauerraum letzte Vorbereitungen zu treffen.
Nachmittags ist es merkwürdig still in einem Theatersaal. Die Vormittagsproben sind vorbei, und die Vorbereitungen für die Abendvorstellung haben noch nicht begonnen. Man befindet sich in einem eigenen Universum, losgelöst von Raum und Zeit.
Hans war ruhig, entspannt. Es hatte etwas Unwirkliches, dass diese Stille bald von einem Spektakel gestört werden würde, wie es Wien noch nie erlebt hatte. Er schob sich durch eine
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