Tödlicher Applaus
Null, ein Nichts. Ich habe ihn geschaffen, mit meinem Zynismus und meiner Tatkraft. Er ist eines meiner Lebenswerke. Und ich will, dass Sie ein Monument für dieses Lebenswerk errichten. Ein ganzer Jahrgang Opera Today , der ausschließlich James Medina gewidmet ist, seiner Kunst und seinem Leben.«
Tom atmete tief ein und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Victor Kamarov, einer der erfolgreichsten Manager dieser Zeit, hatte ihm soeben ein Angebot gemacht, das nicht nur seine akuten Probleme lösen würde. Es beinhaltete weiter, dass er verwirklichen konnte, wovon er immer geträumt hatte. Das Angebot war verführerisch und erschreckend zugleich. Verdutzt hörte er sich selbst sagen: »Ich bin kein Befürworter von gesteuertem Journalismus.«
Kamarov lachte. Genau diese Antwort hatte er erwartet. Er nahm es als Bestätigung, dass er den richtigen Mann für den Auftrag ausgesucht hatte. »Hartmann, es geht hier nicht um Ihre Integrität. Es geht darum, die Dokumentation des Lebens eines großen Künstlers für nachfolgende Generationen zu erstellen. Ich denke an eine Biografie in Episodenform. Jeden Monat ein neues Kapitel. Sie sollen kein Hochglanzbild des Mannes schaffen. So etwas ist stinklangweilig! Sie sollen den ganzen Menschen darstellen, den ganzen Künstler, mit all seinen Stärken und Defiziten, mit seinen Triumphen und Skandalen. Kehren Sie auch seine dunkleren Seiten hervor. Und glauben Sie mir, derer hatte er viele. Machen Sie James Medina zu einem literarischen Bestseller.«
Kamarov wanderte rastlos durch die riesige Suite und klimperte mit dem Schlüsselbund. Er war es nicht gewohnt, auf Widerstand zu stoßen. Tom Hartmann war ein sinkendes Schiff. Warum also zögerte der Mann? Er, der große Kamarov, hatte einen Rettungsring ausgeworfen, aber der Ertrinkende zierte sich. »Ich kann mich natürlich auch an jemand anderen wenden.« Kamarov drehte Tom den Rücken zu und starrte wieder aus dem Fenster. Er hatte noch eine Trumpfkarte im Ärmel, die er aber noch nicht ausspielen wollte.
»Ich möchte nicht undankbar erscheinen …«
»Ich schaffe Stars, Hartmann. Das ist mein Job. Ich kann Sie weltberühmt machen. Ich kann dafür sorgen, dass Ihr Magazin zu einem der führenden auf dem internationalen Markt wird!«
Tom musste sich eingestehen, dass er mit einem Ja nur gewinnen konnte. Aber aus welchem Grund war Kamarovs Wahl ausgerechnet auf ihn gefallen? Weil er der Beste war? Wohl kaum. Es war eher eine Frage der Macht. Die großen Opernmagazine hätten Kamarov wohl kaum nennenswerte Einflussmöglichkeiten auf das Endprodukt eingeräumt. Indem er sich an ihn wandte, einen Kerl, der am Boden lag und bereits ausgezählt wurde, wollte er sich einen Platz am längeren Hebel sichern. Tote Stars verkaufen sich gut, hatte Kamarov gesagt. Aber nur mit dem richtigen Auftritt, dachte Tom. Opera Today sollte also die Legende Medina aufbauen und so den Cashflow aus Medinas Nachruhm sichern. Der Gedanke schmeckte Tom gar nicht. Immer ging es nur um Geld.
Verärgert über Toms schweigende Nachdenklichkeit wechselte Kamarov abrupt das Thema. »Es gibt noch einen zweiten Aspekt. Sehen Sie es mir nach, falls ich zu vertraulich werde. Das ist eine Schwäche von mir.« Kamarov entfernte sich vom Fenster und baute sich vor Tom auf. »Ich glaube nicht, dass die norwegische Polizei diesen Fall alleine lösen wird. Ihre Arbeit hingegen könnte dazu beitragen, den Schuldigen zu finden.«
Tom Hartmann sah Kamarov an. Er glaubte, sich verhört zu haben.
»Sie bekommen jede Unterstützung, die Sie brauchen. Ich verfüge über Ressourcen. Und ich habe einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte. Ihr Auftrag als James Medinas Biograf versetzt Sie in die Lage … Leute auszuhorchen … ohne dass es wie ein Verhör wirkt. Sie bekämen sicher Informationen, die viele in einem Polizeiverhör eher unter Verschluss halten würden.« Kamarov griff nach einem Glas, trank einen Schluck und spuckte angewidert aus, als er feststellte, dass er statt Sambuca Wasser getrunken hatte. Er nahm seinen Platz am Fenster wieder ein, schaute hinaus und überließ es der Stille, Tom zu einer Reaktion zu bewegen.
»Ich habe keine Erfahrungen mit der Polizei.«
»Ist Ihre Frau, Cathrine Price, nicht Kommissarin? Ich habe einen Termin mit ihr, wenn wir fertig sind.«
Schon wieder dieses systematische Ins-Wort-fallen. Toms Vorbehalte bröckelten. »Sie ist meine Exfrau.«
»Das hier ist kein simpler Mordfall. Ein einzigartiges Kunstwerk wurde
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