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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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gezogen worden.
    Der Aufzug blieb stehen, und Tom wurde in die Pavarotti-Suite geführt. Kamarov stand mit dem Rücken zur Tür. Tom war spontan beeindruckt von der Körpergröße des Mannes. Der Übergang vom Nacken zu der blanken Glatze, der Rücken und die Gliedmaßen: Alles war eine Nummer größer. Einschüchternd.
    Kamarov drehte sich abrupt um. »Setzen Sie sich doch, mein Freund.«
    Sein Blick durchbohrte Tom wie Röntgenstrahlen, die gleichsam Körper und Seele durchleuchteten. Einen Augenblick lang erschien ein Lächeln auf seinen Lippen, als würden die Mundwinkel von Stahlseilen nach oben gezogen, dann wurde er schlagartig wieder ernst. Protzige Goldringe schmückten seine Finger, und an seinem rechten Ohrläppchen glitzerte ein spucketropfengroßer Diamant. Kamarov sah älter aus als die fünfzig Jahre, die er war, aber seine Energie und Ausstrahlung wirkten unverbraucht.
    Er goss Sambuca in zwei Gläser und verteilte eine Hand voll Kaffeebohnen darauf. Sie schwammen wie schwarze Käfer in der klaren Flüssigkeit. »Prost!«, sagte er und hob das Glas.
    Tom tat es ihm nach. Kamarov zermalmte die Kaffeebohnen mit großer Intensität und schmatzte genüsslich. »Das regt den Energiefluss an«, sagte er.
    Tom schluckte tapfer. Er hatte schon öfter Sambuca mit Kaffeebohnen getrunken, sich aber nie an den Geschmack gewöhnen können. Sein Gesangslehrer in Bologna hatte das Zeug schon zum Frühstück getrunken. Mit der üblichen theatralischen Übertreibung hatte er behauptet, das sei gut für die Stimme. Auf Toms gesangliche Fähigkeiten hatte es allerdings keine Wirkung gehabt.
    »Sie sind der einzige Mensch in diesem Scheißland, der wirklich weiß, worum es geht. Ich habe alles gelesen, was Sie über die Oper geschrieben haben, seit Ihr Magazin das erste Mal herauskam.« Victor Kamarov war kein Mann für Smalltalk.
    »Das freut mich …«, setzte Tom an, konnte aber den Satz nicht vollenden.
    »Ersparen Sie uns das. Sie brauchen mir nicht zu danken oder mir Höflichkeitsfloskeln um den Bart zu schmieren. Ich habe lediglich eine Feststellung gemacht und Ihnen kein Lob ausgesprochen.«
    Tom wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Er rieb und knetete sie, doch sie blieben so kalt und trocken, wie sie waren. Er fühlte sich unwohl. Der kahl rasierte Riese übte einen solchen mentalen Druck auf seine Umwelt aus, dass die Persönlichkeiten aller anderer Menschen in den Hintergrund traten. Kamarov war ein Mann, der es gewohnt war, seinen Willen zu bekommen.
    »Sie stehen kurz vor dem Konkurs.«
    »Woher …«
    »Ich mache grundsätzlich meine Hausaufgaben, Hartmann, wenn mich etwas interessiert. Sie haben sich etliche Male an mein Büro gewandt. Jedes Mal wurden die Interviewtermine abgesagt. Aber Sie haben nicht aufgegeben, das gefällt mir. Ihr Interesse an meinen Sängern hat mich auf eine Idee gebracht.« Kamarov legte eine Kunstpause ein, trat ans Fenster und sah hinaus. Das Gegenlicht hüllte ihn wie ein Heiligenschein ein. »Ich kaufe Ihr Magazin und steuere das nötige Kapital bei, damit Sie es weiterhin am Leben halten können. Dafür füllen Sie die Zeitschrift mit Artikeln über Medina. Schreiben Sie seinen Nachruf.«
    »Aber Medina ist doch … noch gar nicht tot.«
    Kamarov fuhr herum und nagelte ihn mit seinem Blick fest. »Medina wird nie wieder singen können, selbst wenn er physisch überlebt. Als Sänger ist er jetzt schon tot.« Die Gesichtszüge des russischen Riesen zeigten so etwas wie Nachdenklichkeit. »Es wäre in vielerlei Hinsicht besser gewesen, er wäre gestorben. Ich glaube, das wäre ihm lieber, als nicht mehr singen zu können. Außerdem hätte ihn das zweifelsohne nach oben katapultiert, er wäre zu einem Mythos geworden.«
    Der große Russe strich sich mit der Hand über den glatt rasierten Schädel. »Tote Stars verkaufen sich gut.« Der Diamant in Kamarovs Ohrläppchen reflektierte einen Sonnenstrahl, der schräg durchs Fenster fiel. »Ein Märtyrer, eine Legende, eine Ikone. Ein karrieremäßiger Quantensprung in die Liga der Unsterblichen. Medina wäre der Einzige, der den Kampf mit Caruso aufnehmen könnte. Halten Sie mich für zynisch?«
    »Ich …«
    »Sie haben recht.« Kamarov beherrschte die Technik, seinem Gesprächspartner konsequent ins Wort zu fallen. Auf diese Weise versuchte er, sein Gegenüber zu ermüden. Tom fühlte sich zunehmend energielos. »Mein Zynismus und meine Fähigkeit zu fokussieren haben Medina geschaffen. James Medina war ein Waschlappen, eine

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