Tödlicher Applaus
seine Stimme zu schonen.
Er konnte die Bilder nicht einfach wegwerfen, konnte sie aber auch nicht in dem braunen Umschlag im Zimmer herumliegen lassen, denn wenn der Zimmerservice sie sah, musste er mit dem Schlimmsten rechnen. In die Oper konnte er sie auch nicht mitnehmen, denn dort gab es ganz sicher Spione. Wenn er die Bilder zerriss und verbrannte, würden neue Kopien auftauchen. Er dachte an seine Frau und die Kinder, an die Schlagzeilen in den Zeitungen, an die Geier, die sich gierig auf ihn stürzen würden, wenn die Geschichte herauskam.
Katastrophenszenarien, eines schlimmer als das andere, jagten an ihm vorüber. Sie kamen ganz von selbst, überwältigend und kraftraubend. Arpata fühlte sich plötzlich heiser. Er testete seine Stimme und spürte, dass sein Hals zugeschwollen war. Nicht den leisesten Laut bekam er heraus. Verzweifelt versuchte er, seine Stimme zu forcieren, doch es kam nur ein trockenes Husten. Pfeifend rang er nach Atem. Sein nächster Gedanke war, aus dem Fenster zu springen, doch dann warf er sich heulend aufs Bett.
Da klingelte das Telefon. Es war Victor Kamarov.
»Haben Ihnen die Fotos gefallen?«
Arpata würgte verzweifelt, hatte das Gefühl, als schluckte er seine eigene Zunge: »Ich habe meine Stimme verloren.«
»Ich komme zu Ihnen hoch«, sagte Kamarov.
Nicht einmal eine Minute später stand er in der Tür, ein Tiger, der seine Beute umkreist und sich mit beängstigender Ruhe auf den tödlichen Biss vorbereitet.
»Das ist kein Weltuntergang, Francesco.« Kamarov nahm sich eine Zigarre aus einer eleganten Metallhülse. »Zigarre gefällig? Caruso hat immer Zigarren geraucht, um seine Stimmbänder zu entspannen und sie so weit zu betäuben, dass sie keinen Widerstand leisten.«
»Was wollen Sie?«, hauchte Arpata,
Victor fand, dass es übertrieben theatralisch klang. »Sie tragen zu dick auf, caro amico, das ist Ihre größte Schwäche. Sie bringen nicht ein einziges echtes Gefühl zustande.« Er rollte die Zigarre vorsichtig zwischen den Fingern. »Sie entscheiden selbst, wie es weitergeht.« Dann zündete er die Zigarre an und steckte sie Arpata in den Mund.
Der Tenor saugte den Rauch ein wie ein Säugling die Milch, was eine gewaltige Hustenattacke zur Folge hatte.
»Ich kann mir eine Reihe attraktiver Verwendungsformen für die Bilder vorstellen. Ihre Ehe geht auf jeden Fall in die Brüche. Aber verglichen mit dem Skandal, den eine Anklage wegen Vergewaltigung nach sich ziehen wird, ist das im Grunde eine Bagatelle. Die Öffentlichkeit wird Sie an den Pranger stellen.«
»Vergewaltigung? Sie ist doch eine Hure!«
»Glauben Sie, für Prostituierte gelten andere Gesetze? Francesco, so naiv können Sie doch nicht sein! Das Bildmaterial spricht für sich. Besonders gelungen sind die Fotos, auf denen man sieht, wie Sie sie schlagen oder sie fast erdrosseln. Ich sehe schon all die anderen Frauen vor mir, die Sie genauso behandelt haben. Sie werden Schlange stehen, um gegen Sie auszusagen.«
Francesco Arpata erkannte, dass die Realität viel brutaler war, als er sie sich in seinen wildesten Fantasien ausgemalt hatte. Er sank auf dem Sessel zusammen und schlang die Arme um seinen Oberkörper, als wollte er alles Elend der Welt von sich fernhalten.
»Ich bin am Ende«, sagte er so leise, dass eigentlich nur er selbst es hörte.
»Francesco, lieber Freund. Ich würde nicht so offen mit Ihnen reden, wenn ich Ihnen nicht auch eine Lösung anbieten könnte. Sie haben Scheiße gebaut, ja, aber Onkel Victor hat eine Lösung für Ihr Problem. Sie müssen mir dafür lediglich einen kleinen Gefallen tun.«
»Ich tue alles, was Sie wollen.« Arpata sah Victor dankbar an.
»Rufen Sie die Oper an. Sagen Sie, dass Sie krank sind und heute Abend nicht singen können.«
Arpata stürzte sich aufs Telefon. Victor war beeindruckt, welche Energie der übergewichtige Tenor aufbieten konnte.
»Nicht so schnell!« Victor nahm Arpata den Hörer aus der Hand. »Es ist zehn vor sechs. Wir warten mit dem Anruf noch ein bisschen, damit die in der Oper richtig Panik kriegen. Und dann präsentieren Sie ihnen die Lösung.«
»Und die wäre?« Arpatas Stimme klang wie das Winseln eines bettelnden Hundes.
Victor betrachtete seine Zigarre mit übertriebenem Interesse und lockerte die Bauchbinde. Er nahm sich viel Zeit und genoss es, Arpata auf die Folter zu spannen. Dann hob er die Hand und schrieb mit dem Rauch der Zigarre einen Namen in die Luft, während er gleichzeitig laut sagte: »James
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