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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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Wollteppich.
    James wurde schlagartig nüchtern. Von dem Bühnentriumph, der gerade mal ein paar Stunden zurücklag, war nicht mehr viel übrig. Der Held der Wiener Staatsoper war zu einem Kotze aufwischenden Putzmann mutiert.
    Victor holte einen Eimer. Dann begann er zu arbeiten, brutal und systematisch. Wieder und wieder steckte er seinen Finger in Ginas Hals, wischte sich die Hand an dem neuen Cornelliani-Hemd ab und begann aufs Neue. Der Gestank nach Schweiß, Erbrochenem und Exkrementen war mörderisch, doch erst als nur noch Schleim aus Ginas Mund kam, hörte Victor auf.
    »Jetzt ist alles draußen«, sagte er erleichtert und sank schweißnass in einen der Sessel neben dem Sofa.
    James scheuerte frenetisch den wollenen Sofabezug und verfluchte Gina, die ihn nach seinem Durchbruch in der Oper so erniedrigte. »Dämliches Flittchen, dumme Balkanschlampe!«
    Victor holte zwei Gläser, goss sie mit Whiskey voll und reichte eines davon James. Das andere setzte er selbst an die Lippen, gurgelte mit dem Alkohol und spuckte ihn wieder aus. Den Rest trank er in einem Zug leer.
    Es klingelte an der Tür. James öffnete, während Victor sich einen weiteren Whiskey einschenkte.
    »Victor!«
    Er zuckte zusammen, das Glas rutschte aus seinen Fingern und zersprang auf den Bodenfliesen. Diese Stimme hätte er immer und überall wiedererkannt.
    »Anna?« Der große Russe wirkte mit einem Mal ganz klein.
    Eine blonde, skandinavisch aussehende Frau betrat den Raum. Ihre Haare waren zu einem strammen Pferdeschwanz nach hinten gebunden, sie war ungeschminkt, mit hübschen Gesichtszügen. Schwach ausgeprägte Sommersprossen gaben der Haut Frische, und ihre Augen strahlten wie helle Sommernächte, eingerahmt von dunklen Augenbrauen und Wimpern. Der Mann, der hinter ihr den Raum betrat, wirkte groß, obgleich er nur 1,70 Meter maß. Er strahlte eine erhabene Würde aus wie ein Beamter im gehobenen Dienst oder ein Diplomat. Er war elegant gekleidet, aber nicht nach der neuesten Mode. Intellektuelle Oberklasse. Korrekt und effektiv. Michael Steen, Annas Vater, war kein Mann, der jedem die Tür zu öffnen schien.
    »Ich hoffe, du hast gute Gründe für dein Verhalten?«
    »Darf ich erst mein Hemd wechseln?«
    Victor wartete die Antwort nicht ab, sondern schlüpfte in das winzige Bad. Er steckte den Kopf unter kaltes Wasser und ließ es so lange laufen, bis er fast die Besinnung verlor. Dann nahm er ein noch feuchtes, zerknittertes Hemd von der Wäscheleine, die unter der Decke gespannt war, und zog es an. Er atmete tief durch und versuchte, Zeit zu gewinnen. Ihm war klar gewesen, dass sie ihn früher oder später finden würden. Er hatte nur gehofft, dass es nicht so schnell sein würde.
    Drüben im Wohnraum waren die Steens und James Medina sich selbst überlassen. Michael Steen trat resolut an ein Fenster und öffnete es. Er blieb im Luftzug stehen und versuchte, sich ein Bild von der Situation zu machen. Flecken von Erbrochenem, ein zersplittertes Whiskyglas und eine röchelnde Frau auf dem Sofa. Ein ihm fremder Mann, der versuchte, das Zimmer notdürftig in Ordnung zu bringen.
    »Sei bitte nicht zu streng mit ihm, Papa.« Anna sah plötzlich müde aus. Das Wiedersehen mit Victor war ein Schock für sie gewesen.
    Da betrat Victor wieder das Zimmer.
    »Setz dich«, kommandierte Steen.
    Victor nahm gehorsam und pflichtschuldig wie ein Schuljunge Platz. James hielt es für das Beste, das Weite zu suchen. Er verschwand im Bad, wo er jedes Wort mitbekam.
    »Ich kann das erklären«, machte Victor einen schwachen Versuch.
    »Das ist nicht nötig. Die Dinge sprechen für sich.« Michael Steen sprach nicht laut, aber seine Stimme schnitt wie eine Rasierklinge durch die Stille. »Ich habe ein Jahr meines Lebens darauf verwendet, dich aus der Sowjetunion zu holen. Habe keinen Tag verstreichen lassen, um eine Ausreisegenehmigung für dich zu erwirken. Habe meine Stellung als Diplomat und meine politischen Kontakte genutzt, damit du eine Chance bekommst, die anderen verwehrt bleibt. Ein Leben im Westen als Schwiegersohn einer nicht unvermögenden, einflussreichen Familie. Und warum das alles? Weil meine Tochter so dumm war, sich in einen Taugenichts wie dich zu verlieben.«
    »Papa!«
    »Ginge es nach mir, könntest du in einem Lager in Sibirien verrecken.«
    »Papa!«
    »Und was tust du? Statt nach Stockholm zu kommen, setzt du dich nach Wien ab. Ohne ein einziges Wort zu meiner Tochter. Keine Adresse, keine Telefonnummer, nichts! Ich wünsche

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