Tödlicher Applaus
knallhartes Trainingsprogramm hatte ihm ein für Tenöre eher ungewöhnliches Aussehen beschert. Und das Erstaunliche war, dass seine Stimme mit jedem Muskel, den er trainiert hatte, kräftiger und klangvoller geworden war. Er versuchte, sein eigenes Spiegelbild in Grund und Boden zu starren, es dazu zu zwingen, den Blick niederzuschlagen, während er seine Litanei wiederholte: Ich werde eine Massenhysterie auslösen, ich werde mit meinem Auftritt jedes Rockkonzert in den Schatten stellen.
James Medina war wild entschlossen, und das sah man ihm an. Als die ersten goldenen Töne der Eröffnungsarie » Quanta e bella « aus Medinas Mund strömten, ging ein Raunen durch den Saal. Noch als der Inspizient vor den Vorhang getreten war und verkündet hatte, Francesco Arpata sei indisponiert und könne nicht auftreten, weshalb der junge Sänger James Medina kurzfristig für ihn eingesprungen sei, war der Applaus eher mau gewesen, hatten ein paar Zuschauer ihrer Enttäuschung sogar mit Buh-Rufen Ausdruck verliehen. Jetzt jedoch dachte niemand mehr an Arpata. Dieser blendend aussehende Jüngling, dieses unbeschriebene Blatt hatte die wichtigste Bühne der bedeutendsten Musikmetropole eingenommen und erfüllte den gesamten Bühnenraum mit einer ganz eigenen Magie.
Als die Arie zu Ende war, war es im Zuschauerraum so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören können. Medina war verzweifelt und glaubte, versagt zu haben, doch dann brandete donnernder Applaus los. Frauen stürmten mit Blumensträußen zur Bühne und warfen sie zu ihm nach oben. Das hatte Victor arrangiert. Ein junges Mädchen rief: »Medina, ich liebe dich!« Dann wurde es ohnmächtig. Noch eine von Victors Maßnahmen. Eine Frau sprang auf und wurde ohnmächtig, bevor sie etwas sagen konnte. Das Personal eilte mit Wassergläsern herbei.
Victor Kamarov stand auf einem Balkon des obersten Ranges und wusste, dass er Operngeschichte geschrieben hatte. Der Zweck heiligt die Mittel, dachte er.
Im Laufe der Vorstellung wurde auch dem letzten Zuschauer klar, dass ein neuer Startenor geboren worden war. Schon in der Pause hatten sich die Reporter der Boulevardblätter eingefunden, und als der Vorhang an diesem Abend nach einem überwältigenden Applaus fiel, stürmten sie die Bühne. James Medina hatte seinen Platz im Rampenlicht gefunden, und das behagte ihm nicht nur, es machte ihn glücklich. Victor Kamarov übernahm die Führung und erzählte eine Geschichte über James Medinas Weg nach oben, die Medina noch nie gehört hatte. Er hielt es für das Beste, den Mund zu halten, damit Victor seine Show abziehen konnte. Der Opernchef kam und forderte Medina auf, sofort einen Vertrag mit ihm zu machen. Victor Kamarov wies ihn höflich ab, verabredete aber einen Termin mit ihm für den nächsten Tag, wenn er geklärt habe, ob Medina in dieser Saison überhaupt ein weiteres Engagement annehmen könne.
Victor war in seinem Element. Die Rolle des abgebrühten Managers spielte er perfekt.
Anna Steen
»Warum, zum Henker, hast du mich nicht gleich unterschreiben lassen?« Medina lallte leicht nach all dem Champagner, in dem er seine Stimmbänder nach dem letzten Vorhang gebadet hatte. Kamarov hatte darauf bestanden, zurück in die Bennogasse zu gehen, um die Seele abzukühlen, damit sie nicht in Flammen aufging.
»Keep them hungry.« Das Raubtier Kamarov atmete tief ein und sog die Nachtluft in die Lungen. »Mit jeder Stunde, die wir sie warten lassen, steigt das Honorar. Außerdem gibt es vielleicht noch dickere Fische da draußen.«
Keiner von beiden bemerkte den Mann, der an einem Laternenpfahl vor dem Josefstadt-Theater lehnte. Er musterte die beiden und warf dann einen Blick auf das Bild, das in der Innentasche seiner Jacke steckte. Anschließend verschwand er in einer Telefonzelle und wählte eine Nummer.
Auf der Fußmatte vor ihrer Wohnung lag Gina. Sie war vollkommen zugedröhnt von Drogen.
Victor fluchte: »Verdammte Scheiße, hätte sie uns nicht diesen Augenblick gönnen können?«
Er schlug ihr mit der flachen Hand auf beide Wangen. Gina bewegte den Kopf, öffnete die Augen aber nicht. James drückte sich an ihnen vorbei und schloss die Wohnungstür auf. Dann trugen sie sie hinein. Gina stank nach Alkohol und Erbrochenem.
James musste würgen. »Was hast du gesagt? Wovon redest du?«
»Egal, schaffen wir sie hinein.«
Sie legten sie aufs Sofa. Ginas Muskeln zuckten spastisch, dann erbrach sie sich in einem Schwall über das Sofa und den
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