Tödlicher Applaus
von ihren Sitzen auf und bejubelten die Künstler, die ihnen an diesem milden Sommerabend am Bodensee eine Katharsis beschert hatten.
Zur gleichen Zeit griff sich der Bühnenmeister Klaus Maltz, ein rotwangiger Deutscher mit Schnauzbart, blitzschnell eine Axt aus dem Brandschutzverschlag und rannte zum Wasser. Es ging um Sekunden, und Maltz hatte keine andere Wahl. Er musste Arpata von dem Ding befreien, das ihn unter Wasser festhielt, sonst würde er sterben. Maltz zitterte, als er durchs Wasser watete. Diese Entscheidung musste er alleine treffen. Er schwamm los.
»Bravo, Bravissimo!«, rief das Publikum. Der Dirigent hatte bereits die Bühne betreten, alle hatten ihren Applaus bekommen, und jetzt wartete man nur noch auf Francesco Arpata.
Maltz tauchte und sah den regungslosen Arpata unter der Wasseroberfläche hängen wie ein auf Grund gelaufenes U-Boot. Das Unbehagen vor dem, was er zu tun gezwungen war, weckte in ihm das Bedürfnis, nach Luft zu schnappen. Seine Lungen schrien. Er bereute zutiefst, jemals den Beruf des Bühnenmeisters ergriffen zu haben. Dann hob er die Axt und schlug zu.
Wegen der Strömung schlingerte die Axt und schnitt lautlos eine tiefe Kerbe in Arpatas linken Unterarm. In Maltz’ Ohren rauschte es, er hörte wie durch Watte den begeisterten Jubel des Publikums: »Arpata! Arpata! Arpata!«
Wolken von Blut trübten das Wasser. Maltz versuchte verzweifelt, etwas zu erkennen, aber er musste sich mit seiner freien Hand bis zu der Stelle an Arpatas Arm vortasten, an der er den ersten Schlag angesetzt hatte. Er riss sich die Handinnenfläche an spitzen Knochensplittern auf, dann hob er die Axt erneut und schlug mehrmals zu. Er hustete Blutwasser und war blind von der aufwirbelnden, schlammigen Brühe, die sich mit dem Blutstrom vermischte. Endlich war der Arm abgehackt und Arpatas Körper frei.
Hautfetzen, Sehnen und Knochensplitter wogten im Wasser wie Fähnchen im Wind. Der Körper durchbrach genau in dem Augenblick die Wasseroberfläche, als die Rufe der Zuschauer nach Arpata ihren Höhepunkt erreichten. Techniker kamen angelaufen und zogen den übel zugerichteten Tenor auf die Plattform, die eben noch das Kai von The Borough gewesen war, jetzt aber der Szenerie eines Horrorfilms glich. Das Publikum starrte ungläubig und sensationslüstern auf die Bühne. Das war echtes Blut, das da floss, und Arpatas Haut war blassblau und aufgequollen.
Ein Bühnentechniker beugte sich über ihn und begann mit den ersten Wiederbelebungsversuchen, ein anderer kam mit einem Handtuch angerannt, das er um den Armstumpf wickelte, um die Blutung einzudämmen. Die Chorsänger strömten auf die Bühne, und die Orchestermusiker erhoben sich, um besser sehen zu können. Die Zuschauer blieben stehen, um das wahre Drama dieses Abends hautnah mitzuerleben. Absurderweise musste Tom Hartmann an die einzige intelligente Aussage denken, die Arpata in seinem Interview gemacht hatte: »In der Oper kann alles passieren. Oper ist ein Risikosport.«
Dann trafen die Sanitäter ein. Sie hoben Arpata vorsichtig auf eine Tragbahre, schlossen eine Reihe Schläuche an seinen Körper an und trugen ihn zum Wagen, der gleich darauf mit heulenden Sirenen davonbrauste.
Weit davon entfernt hob sich ein Kopf mit einer Tauchermaske aus dem Wasser und lauschte. Die heulenden Sirenen verhießen nichts Gutes. Arpata hatte es irgendwie geschafft. Der Taucher kroch die letzten Meter ans Ufer. In aller Ruhe packte er seine Ausrüstung zusammen und fuhr davon.
Unter Verdacht
Eine Welle von Adrenalin rollte durch das Nervensystem von Kriminalhauptkommissar Lochmann, der gerade mit dem Helikopter aus Wien eingeflogen war, um den mutmaßlichen Mörder von Katja Henning festzunehmen, und der soeben Zeuge wurde, wie die Hauptattraktion des Abends von der Bühne getragen und mit Sirenengeheul ins Krankenhaus gebracht wurde. Das Attentat gegen Francesco Arpata bestärkte seine Annahme, dass es einen Zusammenhang zwischen den Morden an James Medina, Katja Henning und dem Anschlag auf Francesco Arpata gab. Und alle Spuren führten zu ein und demselben Mann.
Kamarov Management hatte bestätigt, für Tom Hartmann eine Eintrittskarte für die Vorstellung reserviert zu haben. Bald würde Lochmann wissen, ob er sich tatsächlich unter den Zuschauern befand. Alle Ausgänge waren abgesperrt worden, niemand durfte den Tribünenbereich verlassen, ohne sich auszuweisen. Lochmann bezweifelte jedoch, dass Hartmann dort war. Die Spuren im Hotelzimmer
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