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Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)

Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)

Titel: Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Clark
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das?
    »Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich ihn mal montags in der Spring Street gesehen. Oder war es die Main Street?« Ich schüttelte den Kopf. »Sicher bin ich mir da allerdings nicht. Wäre es aber nicht wahrscheinlich, dass er sich irgendwo in der Nähe aufhält?«
    Meiner Erfahrung nach waren Obdachlose gar nicht so obdachlos. Meistens entfernten sie sich nicht allzu weit von einer vertrauten Umgebung.
    »Was sollen wir also tun? Durch die Straßen laufen und nach Cletus Ausschau halten?«, fragte Bailey.
    »Hast du eine bessere Idee?«
    »Sag Eric, dass du noch bis Mittwoch brauchst, weil du dann weißt, wo du Cletus findest«, schlug Bailey vor.
    »Ausgeschlossen.« Ich schüttelte den Kopf. »Jetzt oder nie.«
    »Na denn.« Bailey seufzte, warf ihre Serviette hin und stand auf. »Dann kommen wir besser in die Gänge. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
    »Und unterwegs zeigen wir das Foto von unserem John Doe herum«, sagte ich. »Vielleicht erkennt ihn ja jemand. Da dies unser spekulativer Tag ist, können wir gleich in die Vollen gehen.«
    »Wer A sagt …«, stimmte Bailey zu.
    Wir beschlossen, in Skid Row anzufangen, der Heimat einer der landesweit größten Obdachlosengemeinschaften auf einer Fläche von nur gut vier Quadratmeilen. Das Viertel lag in Gehweite vom Gerichtsgebäude entfernt. Tagsüber durften die Obdachlosen nicht auf dem Gehweg schlafen, aber die Straße war ihr Zuhause, und so saßen dort immer essende, redende … überlebende Menschen herum.
    Es machte mich schon nervös, mit dem Auto durch diese Gegend zu fahren – ich hatte immer Angst, dass mir jemand vor den Wagen lief –, aber hier herumzulaufen war noch viel schlimmer. Es zerriss mir das Herz, mit ansehen zu müssen, was für ein hartes Leben diese Leute hatten. Die Straßen waren buchstäblich zugemüllt mit zerbeulten Dosen, zerbrochenen Flaschen von billigem Alkohol, Fast-Food-Packungen, irgendwelchen Ampullen und benutzten Nadeln. Der Uringestank drang aus allen Ecken und Nischen, und in der Luft hingen schwer die Gerüche nach altem Fett, billigem Essen, ungewaschenen Körpern und schmutzigen Klamotten. Skid Row haftete nicht nur der Ruch bitterer Armut an, sondern auch der von Verzweiflung und Resignation. Hier versuchten die Menschen gar nicht mehr zu leben. Sie kämpften schlicht um ihre Existenz.
    Als wir die Straßen abklapperten, wehrte ich mich krampfhaft dagegen, mich von all diesem Elend runterziehen zu lassen. Wir gingen auf und ab, eine Straße nach der anderen, hielten Ausschau nach dem Deckenstapel, den ich als Cletus kannte, fragten alle nach ihm und zeigten jedem, der einigermaßen klar wirkte, das Foto unseres John Doe.
    Jetzt wandten wir uns an eine gedrungene Frau, der man weder Alter noch Herkunft ansehen konnte. Sie trug eine Strickmütze mit Ohrenklappen und Army-Stiefel mit offenen Schnürsenkeln und schob einen vollgepackten Einkaufswagen vor sich her.
    »Kenne keinen Cletus, und diesen Typen hab ich noch nie gesehen, bestimmt nicht, bestimmt nicht, auf gar keinen Fall …« Sie verschwand und murmelte weiter vor sich hin.
    Ein Schwarzer mittleren Alters mit Brille und zerschlissenem Mantel wirkte ziemlich klar im Kopf, also zeigten wir ihm das Foto von unserem John Doe. »Kennen Sie diesen Mann zufällig?«
    Er betrachtete das Foto sorgfältig, und es regte sich schon eine gewisse Hoffnung in mir.
    »Zufällig sieht er nicht aus, für mich zumindest nicht«, antwortete er dann. »Sieht er für Sie zufällig aus? Es gibt keinen Zufall. Kein Zufall im besten Fall und auch nicht im Wasserfall.«
    Mein Mut schwand. »Vielen Dank, Sir.«
    Wir setzten die Suche fort. Nach weiteren zwei Stunden waren wir niedergeschlagen und müde, und unsere Füße taten weh. Allmählich war ich bereit einzugestehen, dass wir unsere Zeit verschwendeten. Es war fünf Uhr, und langsam wurde es dunkel. Bald würde es hier für zwei Frauen – selbst für Frauen wie uns – gefährlich werden.
    »Tut mir leid, Keller«, sagte ich. »Das war eine schlechte Idee. Ich denke, wir sollten allmählich verschwinden.«
    »Eine schlechte Idee, in der Tat«, stimmte Bailey zu. »Aber das wussten wir ja schon vorher. Lass uns noch eine halbe Stunde weitermachen und dann zu dem Ort gehen, wo du Cletus sonst findest. Das liegt sowieso auf dem Heimweg.«
    Es waren solche Situationen, in denen ich dachte, dass ich eine Freundin wie Bailey nicht verdient hatte. »Danke«, sagte ich. Sie winkte ab.
    In der nächsten halben

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