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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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wenn sie am Ende angekommen waren? Wenn sie alle Möglichkeiten ausgereizt hatten? Glühende Eisenstäbe einsetzen? Schmutzige Haiku-Verse dichten? »Ich habe mit einer Frau gesprochen, die ich schon seit mehreren Jahren kenne. Sie hat einige sexuelle Erfahrungen mit anderen Frauen gesammelt, und wir haben uns gedacht, wir sollten so etwas auch einmal gemeinsam ausprobieren.«
    Er war völlig verblüfft, schielte auf ihren Kopf hinunter. »Du willst es mit Frauen versuchen? Lesbisches Zeug?«
    »Na ja, vielleicht am Anfang … Aber wir haben ausführlich darüber gesprochen, und es wäre schön, wenn ihr euch kennen lernen würdet. Wir haben über die Möglichkeit gesprochen, dass wir zu dritt … Wenn ihr beiden euch anfreunden könntet.«
    Zu dritt? Er setzte sich auf. »Du hast ihr gesagt, wer ich bin?«
    Auch sie richtete sich auf. »Nicht im Detail. Nur, dass du Professor bist. So weit musste ich aber gehen. Sie wollte wissen, ob du ein vertrauenswürdiger Mensch bist. Sie war nicht bereit, mit einem Mann von der Straße ins Bett zu gehen, einem Rock-Musiker oder einem ähnlichen Typen.«
    »Du hast ihr das tatsächlich gesagt?« Er war wütend.
    »Ja.«
    »Gottverdammt, ich habe dir doch ausdrücklich gesagt, dass unsere Beziehung geheim bleiben muss. Ich bin Professor an einer katholischen Universität. Meine Karriere, mein Lebensunterhalt, alles ist gefährdet, wenn …«
    Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, sagte: »Sie ist sehr diskret. Sie hat großes Verständnis für das alles. Sie ist verheiratet, und ihr Mann hat keine Ahnung …«
    »Du verdammte Idiotin! Du verdammte …«
    Sie sagte: »Schlag mich, James. Ins Gesicht. Ganz fest. Komm, schlag mich!«
    Er sagte: »Du bist verrückt.«
    »Ich bin eine Suchende, James.« Ihr Gesicht war ernst, von innen erleuchtet. »Schlag mich.«
    Er schlug sie.
    »Fester, James.«
    Der zweite Schlag traf sie hart. Er hatte beabsichtigt, sie zu töten, aber das war jetzt unmöglich – zumindest so lange, bis er herausgefunden hatte, was sie dieser anderen Frau im Einzelnen gesagt hatte. Er schlug mit der flachen Hand zu, so fest, dass sie umsank. Sie sah zu ihm hoch; ihre Augen glitzerten, und Blut tropfte von ihren Lippen. »Komm, vergewaltige mich …«
    Er schüttelte den Kopf. »Hör zu, ich …« Er zitterte am ganzen Körper wie ein Wackelpudding.
    »O James … Komm, James, bitte …«
    Am Abend saß er zu Hause am Küchentisch, aß eine Schale Cornflakes und las die Rückseite der Packung, als seine Mutter anrief. Sie klang barsch: »James, ich muss mit dir sprechen.«
    »Stimmt was nicht mit dir? Du klingst … irgendwie niedergeschlagen.«
    »Ich bin niedergeschlagen«, sagte sie. »Und sehr beunruhigt. Ich muss sofort mit dir sprechen.«
    »Gut«, sagte er. »Ich esse meine Cornflakes noch fertig, dann komme ich zu dir.«
    Sie legte auf, und er saß da, las den Text auf der Schachtel nicht weiter, sondern überlegte, was hinter diesem Tonfall seiner Mutter gesteckt haben konnte. Sie hatte definitiv beunruhigt geklungen – und in ihrer Stimme hatte eine ungewöhnliche Dringlichkeit mitgeschwungen. Vielleicht war sie krank. Ihre eigene Mutter war an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben, und das bereits in relativ jungen Jahren …
    Seine Mutter, überlegte er, hatte lange Jahre ein gutes Gehalt bezogen. Sie war am Ende der großen Weltwirtschaftskrise zur Welt gekommen, als Tochter von Eltern, die stark unter der allgemeinen Arbeitslosigkeit gelitten und in dieser Zeit auch ihr Haus verloren hatten. Diese Eltern hatten in ihr die Angst genährt, sie könnte eines Tages allein und mittellos dastehen und zu alt sein, um aus eigener Kraft wieder auf die Füße zu kommen. Diese Angst hatte dazu geführt, dass sie über das normale Rentenalter hinaus weiter arbeitete.
    Und sie hatte eine ganze Menge Geld angehäuft – in festverzinslichen Staatsanleihen und im Rahmen ihres so genannten »201K-Plans«. Das Guthaben bei den Staatsanleihen betrug eine halbe Million Dollar, dazu kam Gott-weiß-wie-viel beim 201K-Plan. Und die Universität bot ihren Mitarbeitern eine kostengünstige Krankenversicherung samt einer exzellenten medizinischen Versorgung, so dass das Vermögen nicht durch Krankheits- oder Pflegekosten aufgezehrt werden würde.
    Eine halbe Million. Und seine Mutter tot … Er stützte den Kopf in die Hand und fing an zu weinen. Tränen strömten über seine Wangen, er schluchzte, und seine Brust bebte. Nach einer Minute beruhigte er sich.
    Eine

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