Toedlicher Blick
das ist vorteilhaft für Sie. Niemand außer Swanson, Rie, Del, Ihnen und mir weiß was von diesen Zeichnungen. Keiner von den Kotzbrocken bei den Medien hat bisher was davon erfahren – dass da noch ein anderer irrer Saukerl sein Unwesen in der Stadt treibt.«
»Ich sage es ungern, aber es könnte sein, dass wir die Zeichnungen ins Fernsehen bringen müssen«, korrigierte Lucas. »Wenn zwei Frauen sich auf einen kleinen Artikel im
Daily Minnesotan
hin mit Zeichnungen melden, die ihnen zugeschickt wurden, muss man sich ja fragen, wie viele Betroffene es da noch gibt, nicht wahr?«
Lester lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch, diesmal mit übereinander gelegten Knöcheln. Er kratzte sich an der Seite des Kinns, sagte dann: »Na schön, wenn’s denn sein muss … Vielleicht nimmt das ja einigen Druck aus der Brown-Sache.«
»Ja, vielleicht«, bestätigte Lucas. »Möchten Sie, dass ich mit Rose Marie spreche?«
»Das wäre gut.«
An der Tür drehte Lucas sich noch einmal um. »Sie haben die Füße wieder hochgelegt«, sagte er.
»Gottverdammte Scheiße!«
Rose Marie Roux, die Polizeichefin von Minneapolis, hatte in ihrem Büro eine Besprechung mit dem Bürgermeister. Lucas hinterließ im Vorzimmer eine Nachricht, dass er sie ganz kurz sprechen möchte, ging dann die Treppe hinunter zu seinem neuen Büro. Sein altes Büro war eine winzige Kammer mit Tisch und zwei Stühlen gewesen. Das neue roch immer noch nach Farbe und feuchtem Mörtel, aber es bestand aus zwei kleinen Räumen mit Tischen, Aktenschränken sowie einer Nische für den Schreibtisch des Chefs der Sondereinsatzgruppe.
Als die Zimmer frei geworden waren, hatte es einen Streit um sie gegeben. Lucas hatte Roux klargemacht, dass sie gleich zwei Gruppen glücklich machen würde, wenn sie ihm ein größeres Büro zusprach – sein Team und jemanden, der bisher noch kein eigenes Büro hatte und sein altes übernehmen konnte. Außerdem brauchte er dringend mehr Raum: Seine Leute hatten oft Gespräche mit Kontaktleuten draußen im Flur führen müssen. Sie hatte zugestimmt und die Verlierer mit neuen Bürostühlen und Macintosh-Computern – beides gut fürs Image – besänftigt.
Als er die Eingangstür aufstieß– selbst sie war neu, und er war recht stolz darauf –, saß Marcy Sherrill auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und hatte die Füße auf die Platte gelegt. Sie war noch krankgeschrieben, und er hatte sie seit einer Woche nicht gesehen. »Du wirst dir einen Nerv einklemmen«, warnte er und schlug die Tür hinter sich zu.
»Ich habe Nerven aus Stahl«, sagte sie. »Die lassen sich nicht einklemmen.«
»Sag mir das noch mal, wenn du nicht mehr gerade stehen kannst«, knurrte Lucas und setzte sich ihr gegenüber hinter den Schreibtisch. Sie war eine attraktive junge Frau, zurzeit ohne feste Beziehung, aber sie war für Weather kein Grund zur Besorgnis: Marcy und Lucas hatten bereits eine gemeinsame Liebesaffäre hinter sich, sich dann aber in gegenseitiger Übereinstimmung wieder getrennt. Marcy war eine energische junge Frau und scheute keinen harten Einsatz. Bisher jedenfalls. »Wie geht’s dir?«, fragte Lucas.
»Nicht zu schlecht. Nachts immer noch Kopfweh.« Ein Verbrecher hatte ihr im vergangenen Herbst mit einer Jagdflinte in die Brust geschossen.
»Wie lange dauert’s noch?«, fragte Lucas.
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Nächste Woche setzen sie diese speziellen Schmerzmittel ab. Das führt zu einer Linderung der Kopfschmerzen, sagen sie, aber ich kriege dann wieder mehr Brustschmerzen. Dann bin ich jedoch endgültig über den Berg – sagen sie.«
»Die Krankengymnastik machst du aber weiter?«
»Ja. Sie verursacht mehr Schmerzen als der Kopf und die Brust zusammen.« Sie sah, dass er sie abschätzend musterte, und richtete sich auf. »Warum fragst du? Hast du was zu tun für mich?«
»Wir werden den Mordfall Aronson übernehmen. Swanson weist uns heute Nachmittag ein. Black wird zeitweise zu uns abgestellt. Del und Lane sind mit dabei. Eine Kurzfassung des Falles lautet: Wir haben es mit einem Irren zu tun.«
»Du willst mich dabeihaben?« Sie hatte die Frage ganz cool stellen wollen, was ihr aber nicht gelang.
»Für eingeschränkten Dienst, wenn’s dir recht ist«, sagte Lucas. »Wir brauchen jemand für die Koordinierung.«
»Das kriege ich hin«, sagte sie. Sie stand auf, ging auf wackligen Beinen ein paarmal im Büro auf und ab, verzog vor Schmerz das Gesicht.
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