Toedlicher Hinterhalt
bis zum Hals.
»Sie küsste mich«, flüsterte er. »Sie sah mir in die Augen und sagte: ›Ich liebe dich.‹ Und dann, ehe ich sie noch aufhalten konnte, rannte sie los. Sie lief so schnell sie konnte den Weg entlang, den wir gekommen waren – und sie bewegte sich mehr als schnell.«
Seine Unterlippe zitterte, und eine einzelne Träne lief an seiner gräulichen Wange hinunter. »Die Deutschen jagten sie und eröffneten das Feuer. Ich sah, wie die Kugeln sie trafen und sie zu Boden fiel. Und da wusste ich es, sie war tot, tot – einfach so. Aber mir wurde auch bewusst, dass ich die Dokumente und Joe niemals in Sicherheit bringen könnte, wenn ich nun nicht schnell handelte. Sie war gestorben, damit ich die Gelegenheit dazu hatte, also habe ich es irgendwie fertiggebracht. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wie ich es geschafft habe – den Deutschen zu entkommen und Joe auf die andere Seite der Front zu bringen. Ich ließ ihn an einer Stelle liegen, wo er gefunden werden würde, um sicherzugehen, dass die Dokumente in die richtigen Hände gelangten. Dann schnappte ich mir eine Waffe und beteiligte mich an den Kämpfen. Ich schätze, ich habe es drauf ankommen lassen, zu sterben, doch es geschah nicht. Bei Gott, ich wollte sterben. Erst nach dem Krieg spürte Joe mich auf. Er wusste, dass er es nicht allein über die Frontlinie geschafft hatte, aber als sie zu mir kamen und mich auf die Tapferkeitsmedaille ansprachen, habe ich bestritten, dort gewesen zu sein. Ich möchte sie nicht. Ich verdiene sie nicht.«
Er schwieg für einen Moment, und auch Kelly blieb still. Es gab nichts, was sie hätte sagen können.
»Lange Zeit habe ich Joe gehasst – weil er verwundet worden war und uns davon abgehalten hatte, schneller voranzukommen, weshalb wir überhaupt erst in die Klemme gerieten. Das habe ich ihm nie verziehen. Und auch Cybele habe ich nie vergeben.«
»Was ist mit dir selbst?«, fragte Kelly sanft. »Hast du dir selbst je vergeben?«
Er schüttelte den Kopf. »Sieh dir an, was ich aus dem Leben gemacht habe, das Cybele mir geschenkt hat. Es ist mir in sechsundfünfzig Jahren nicht gelungen, ihren Erwartungen gerecht zu werden. Ich war ihr Held. Doch ich kehrte nach Hause zurück und konnte noch nicht einmal die Ehe mit Jenny retten, nachdem der kleine Charlie gestorben war. Dann folgten zwei weitere Ehen, beide totale Fehlschläge. Ein Held, der auf der Veranda sitzt und sich zu Tode säuft, ein fauler Mistkerl.
Cybele gab mir das wertvollste Geschenk von allen – das Leben. Und hier liege ich nun in diesem Bett und schaue auf das einzig Gute, was ich je zustande gebracht habe – und zwar durch Zufall. Du warst ein Zufall. Du bist eine wunderbare Frau, Kelly, und ich bin so stolz auf dich, aber es ist nicht mein Verdienst, dass aus dir solch ein guter Mensch geworden bist.«
Kelly war außerstande, etwas zu sagen, die Tränen in ihren Augen nahmen ihr fast die Sicht.
»Ich liebe dich«, sagte Charles zu ihr. »Dich und Cybele. Das habe ich immer. Weißt du, wenn sie noch am Leben gewesen wäre, hätte ich meine komplette Zukunft aufgegeben, um bei ihr zu sein. Ich hätte mich Jennys Schmerz und Wut gestellt. Ich hätte es ertragen, dass mein Vater pikiert gewesen wäre. Ich hätte alles dafür getan. Mich sogar meinen größten Ängsten gestellt.
Man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt, Kelly, aber man kann sein Leben verschwenden. Und warum um alles in der Welt sollte man das tun?«
Er schloss die Augen.
Sein Atem ging nun wieder ruhig und gleichmäßig. Er war von den Schmerzen erlöst – den körperlichen Schmerzen –, zumindest für den Moment.
21
Der Verkehr war übel.
Kelly bog auf den Parkplatz vor dem Kino ein, um den restlichen Weg zur Drogerie, wo sie ein neues Rezept für ihren Vater einlösen wollte, zu Fuß zu gehen.
In Baldwin’s Bridge wimmelte es von den üblichen Sommerurlaubern. Hinzu kamen noch die vielen Besucher, die wegen der Feierlichkeiten für die Fünfundfünfzigste in die Stadt ström-
ten.
Auch am Jachthafen war es voll. Viele reisten mit Segelbooten und Ausflugsjachten an. Und noch mehr Menschen nutzten das schöne Wetter, um Tagestörns zu unternehmen, weshalb zu beiden Seiten der Wellenbrecher am Eingang zum Hafen eine Vielzahl von kleinen Booten vor sich hin dümpelte.
Gegenüber beim Hotel standen Container voller Klappstühle bereit, die gleich am nächsten Morgen auf dem Rasen aufgestellt werden würden. Arbeiter bauten eine Bühne für die
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