Toedlicher Hinterhalt
siebentägigen Albtraum entwickelt. Es war ein ziemliches Wunder, dass er es überhaupt zurückgeschafft hatte.
»Guiseppe?«
Als er sich umdrehte, sah er Cybele die Treppe heraufkommen. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Erleichterung wider. Sie warf sich ihm in die Arme, und wie immer, wenn er sie umschlungen hielt – was viel zu selten vorkam –, überraschte es ihn, wie klein, schlank und zerbrechlich sie tatsächlich war.
Sie gehörte zu den entschlossensten ihrer Anführer, und weil sie so eine leise Art besaß, das Kommando zu übernehmen, unter Stress absolut ruhig blieb und grenzenloses Durchhaltevermögen zeigte, hielt man sie für sehr stark und robust.
»Gott sei Dank«, murmelte sie. »Wir haben Gerüchte gehört, dass du verhaftet worden seiest, aber niemand konnte mir sagen, wo sie dich hingebracht hatten.« Sie löste sich ein wenig von ihm, um ihn anzusehen. In ihren Augen lag Ergriffenheit. »Geht es dir auch wirklich gut?« Sie ließ die Hände über seine Schultern und an seinen Armen hinabgleiten. »Bist du unversehrt?«
»Ich bin bloß müde«, antwortete er ihr, ebenfalls auf Französisch, ihrer Muttersprache. »Und sehr froh, wieder hier zu sein.«
»Was ist passiert?«
»Die Nazis haben mich angehalten und verlangt, meine Papiere zu sehen.« Seine gefälschten Papiere. Hätte er die Chance dazu gehabt, wäre er davongerannt. Doch er hatte nirgendwohin gekonnt, es gab einfach keine Möglichkeit, zu fliehen. Wegzulaufen hätte den Tod bedeutet. Aber natürlich wäre er auch umgebracht worden, wenn man ihn als Spion der Amerikaner enttarnt hätte. Tod – jedoch erst nach grausamer Folter, unter der die SS versuchen würde, die Namen der tapferen Männer und Frauen aus ihm herauszubekommen, die an seiner Seite kämpften und sich der Besetzung durch die Nazis entgegenstellten. Cybele hatte ihm allerdings versichert, seine Papiere seien die besten, die sie je gesehen habe. Also hatte er sie ihnen ausgehändigt und gebetet, dass sie recht behalten würde.
»Ich wurde verhaftet«, berichtete er ihr. »Aber nicht etwa, weil meine Papiere ihren prüfenden Blicken nicht standgehalten hätten.«
Das war ihm zu Anfang jedoch nicht klar gewesen. Die Wachen hatten ihn unter vorgehaltener Waffe abgeführt und ihn in einem Schweizer-Italienischen Dialekt angeblafft, den er nicht verstand. Dann war er allein in einen Raum gesperrt worden und hatte auf das tödliche Verhör gewartet, doch nichts war geschehen. Er hatte nicht gewusst, was vor sich ging, bis er in einen bereits viel zu vollen Eisenbahnwaggon verfrachtet worden war.
»Die Vichys sind wegen der Lebensmittelknappheit aufgebracht«, erklärte er Cybele. »Und weil meine Papiere mich als Italiener ausweisen, gehörte ich zu einer Gruppe von Ausländern, die deportiert wurden.«
Cybele lachte ungläubig auf. »Was?«
»Ich bin zurück nach Italien geschickt worden, weil die Vichys nicht wollen, dass ich ihnen ihren Brie wegesse. Und sie sind so dumm, zu glauben, die Nazis würden ihnen nicht das letzte bisschen nehmen, wenn die Situation sich noch verschlimmert.«
Er hatte fast neun Stunden in dem Waggon verbracht, ehe er schließlich fliehen konnte – indem er aus dem fahrenden Zug sprang. Seine Schrammen waren nichts, wenn man bedachte, dass er bei etwas weniger Glück auch mit einem gebrochenen Genick hätte enden können.
»Nachdem ich aus dem Wagen entkommen war, musste ich mich sehr vorsichtig fortbewegen – die Nazis im Zug hatten ja immer noch meine Papiere. Es war nicht leicht.« Was für eine Untertreibung, aber er brauchte nicht ins Detail zu gehen. Cybele war ebenfalls schon in Situationen gewesen, die sie nicht hätten erleben sollen. Sie wusste nur zu gut, wie gefährlich und beängstigend das war. »Es tut mir leid, ich konnte nicht früher zurückkommen«, fuhr er fort.
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, gab sie zurück. »Ich bin so froh, dass du überhaupt zurück bist.«
Sie hatte sich noch immer nicht aus seinen Armen gelöst. Während er sie so umschlungen hielt und in ihre tief mitternachtsblauen Augen blickte, konnte er nicht anders. Er beugte sich zu ihr herunter, um sie zu küssen und endlich die Lippen zu kosten, von denen er in so vielen Nächten geträumt hatte.
Doch Cybele wandte den Kopf ab und legte die Wange an seine Schulter, sodass er stattdessen die Nase in ihrem Haar vergrub.
Welch dumme Anwandlung … Doch da sie ihn auf diese Art angesehen hatte, war er so naiv gewesen, zu hoffen, sie
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