Toedlicher Hinterhalt
wirklich abnehme, du würdest das lesen?«
Er blickte sie über den Rand seines Buchs hinweg an. »Natürlich lese ich es. Ich hab es schon halb durch.«
Ihr Gesichtsausdruck war dermaßen komisch, dass er fast seine Kamera ausgepackt hätte, um ihn festzuhalten.
»Du liest einen Liebesroman.« Sie blickte sich um. »Hier draußen, vor allen Leuten?«
Auch David schaute sich um. Auf dem Rasen vor dem Hotel befanden sich ungefähr zwanzig Menschen, und noch mehr Leute hielten sich unten am Jachthafen auf. Doch niemand schenkte ihnen auch nur die geringste Beachtung. Er zuckte mit den Schultern. »Ja, du hattest recht. Es ist großartig. Danke, dass du es mir empfohlen hast.«
»Du liest es wirklich komplett?«, fragte sie argwöhnisch. »Du blätterst es nicht bloß durch und überfliegst die Sexszenen?«
»Warum sollte ich das machen?«
»Weil du ein Kerl bist?«
»Ich lese wirklich das ganze Buch.« Er lächelte. »Aber ich gestehe, dass ich mir die Sexszenen zweimal anschaue.«
Sie verzog die Lippen zu einem klitzekleinen Grinsen. »Ja, na dann, willkommen im Klub«, entgegnete sie. »Das mache ich auch.«
Sie lächelte ihn an! Sie lächelte ihn tatsächlich an! Es war ein echtes, aufrichtiges Wir-haben-etwas-gemeinsam-Lächeln, kein Ich-möchte-dir-die-Augen-auskratzen-Grinsen.
Mallory hatte ihr Buch fast durch. »Du liest schnell«, bemerkte er.
Sie schaute auf seine Ausgabe, er hatte einen Finger zwischen die Seiten geklemmt, auf denen er gerade war. »Du aber auch.«
»Ich hab schon immer gern gelesen«, gestand er. »Solange ich ein Buch zur Hand habe, ist es egal, wo ich mich gerade befinde. Ich kann mich auf Anhieb Millionen von Meilen weit weg begeben, an einen ganz anderen Ort oder sogar auf einen anderen Planeten. Ich habe dann die Möglichkeit, jemand anderes zu sein, weißt du? Vor allem wenn es zu schwer wird, ich selbst zu sein.«
Mallory nickte, doch dann schaute sie weg, als hätte sie Angst, mit dieser einen kleinen zustimmenden Geste zu viel von sich preisgegeben zu haben. »Gott, ich brauche eine Zigarette«, flüsterte sie.
»Ist hart, aufzuhören, was?«
»Du hast nicht zufällig eine, oder?«
»Ich rauche nicht.«
»War ja klar.«
David ging nicht weiter auf diese Beleidigung ein. Mallory Paoletti hatte ein paar ziemlich heftige Abwehrmechanismen entwickelt, um andere Menschen aus ihrer Welt fernzuhalten. Wenn er die Mauern durchbrechen wollte – und das tat er –, würde er die Kratzer, die sie ihm mit ihren verbalen Dornenzweigen zufügte, ignorieren und leichtfüßig über die passiv-aggressiven Minenfelder hinweggehen müssen.
Er öffnete noch einmal den Reißverschluss seines Rucksacks und wühlte darin nach dem Buch, das er am Nachmittag hineingestopft hatte. Als er es unter seiner Kamera zu fassen bekam, hielt er es Mallory hin. Da sie jedoch keine Anstalten machte, es anzunehmen, legte er es stattdessen vor ihr ins Gras, quasi als Opfer für die Göttin.
»Ich habe angefangen, dieses Buch hier zu lesen …« Er deutete auf das, welches er gerade las, das von ihr empfohlene. »… und da ist mir aufgegangen, dass du wahrscheinlich noch nie etwas von Heinlein gehört hast. Ich dachte mir, du würdest dir vielleicht einen von meinen Lieblingsromanen ausleihen wollen.«
Mallory schaute auf das Buch, das er vor sie hingelegt hatte, rührte es jedoch nicht an, sondern betrachtete einfach nur das Cover und blickte dann wieder zu ihm. »Was willst du von mir?«
Die Frage war so direkt, dass David nicht recht wusste, was er darauf sagen sollte. Er konnte sie ihr nicht beantworten, dafür war er viel zu gefesselt von der Intensität ihres Blicks.
»Glaubst du wirklich, wenn du mich in irgendeinen kleinen privaten Buchklub einträgst, darfst du mir ab und zu noch was anderes geben als nur ein Buch? Geht’s darum? Willst du’s mit mir machen, Streberjunge?«
Streberjunge … Autsch! Doch David hatte keine Chance, etwas zu erwidern. Sie schäumte vor Wut und war noch lange nicht fertig. Er fand seine Stimme wieder, bekam aber nicht mehr als ein »Nnh –« heraus.
Mallory sprang nun auf, kickte mit einer heftigen Bewegung das Buch in seine Richtung und sammelte ihre zerknautschte Papiertüte, die halb leere Limo sowie ihre eigene Lektüre ein.
David war davon ausgegangen, dass es Tage oder sogar Wochen dauern würde, sich mit Mallory anzufreunden. Und erst dann, wenn sie sich gut verstanden, hätte er ihr von Nightshade erzählt. In diesem Augenblick wurde ihm
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