Toedlicher Hinterhalt
gegangen wären, und so über die Jahre mitverfolgen können, welche Fortschritte es gab – wenn man überhaupt von Fortschritten sprechen konnte, denn es war rein gar nichts gesche-
hen.
WildCard hatte Toms Interesse am Kaufmann scherzhaft als TKO bezeichnet – Tommys Kleine Obsession. Sie hatten beide darüber gelacht, doch nun war Tom nicht mehr zum Lachen zumute. Inzwischen löste das Wort Obsession ein ziemlich ungutes Gefühl bei ihm aus.
Er erlitt eine schwere Kopfverletzung und sah danach, jedes Mal, wenn er sich umdrehte, den Kaufmann.
Als Anführer eines SEAL -Teams musste er sich ganz sicher sein, dass das, was er wahrnahm, der Realität entsprach. Es gab keinen Spielraum für Unsicherheiten darüber, was echt war und was Halluzination.
Nein, er hatte keinen Spielraum, nicht angesichts dieser Lage.
Tom ging nach draußen, doch die Nachtluft brachte weder Kühle noch Erfrischung. Der schöne Sommertag war immer schwüler geworden, und nun herrschte eine drückende Hitze.
Natürlich sorgte der Wetterumschwung nicht gerade dafür, dass seine andauernden Kopfschmerzen besser wurden.
Er fühlte sich rastlos, benommen und viel zu angespannt, um schon ins Bett zu gehen.
Vom Garten aus konnte er sehen, dass in Kellys Zimmer kein Licht brannte. Sie schlief tatsächlich.
Er ging noch ein Stück weiter über das Grundstück, folgte dem Weg bis zum Zaun. Es war der kürzeste Weg in die Stadt – vorausgesetzt, man schaffte es, ihn zu überwinden. Trotz des Schwindelgefühls gelang es Tom in Bruchteilen einer Sekunde, hinaufzuklettern und hinunter in den Nachbarsgarten zu springen.
Leise drang Musik vom Jahrmarkt zu ihm herüber, der in der City auf dem Parkplatz der katholischen Kirche aufgebaut war. Er beschloss, dorthin zu gehen, und hoffte, ein strammer Spaziergang würde ihn wenigstens so müde machen, dass er danach schlafen könnte.
Trotz ihrer Erschöpfung lag Kelly immer noch wach.
Als sie hörte, wie nach dem Baseballspiel unten das Wasser rauschte und ihr Vater zu Bett ging, zog sie sich ihren Morgenmantel über, trat hinaus auf den dunklen Flur und lief die Treppe hinunter. Die Schlafzimmertür war nur angelehnt, und sie klopfte an, während sie sie gleichzeitig weiter aufdrückte.
Charles hatte es geschafft, sich selbst ins Bett zu hieven, aber es würde nicht mehr lange dauern, und er wäre nicht mehr dazu in der Lage. Jeden neuen Tag wirkte er noch ein wenig dünner und zerbrechlicher. Er verschwand quasi nach und nach vor ihren Augen.
»Kann ich dir irgendwas bringen?«, erkundigte sich Kelly mit einem Kloß im Hals.
Als er den Kopf schüttelte, wusste sie, dass ihm unwohl war.
»Du kannst ruhig eine von den Tabletten nehmen, die dir Dr. Grant verschrieben hat.«
Er schaute sie kurz an und sah dann wieder weg. »Ich habe erst vor einer Stunde eine geschluckt.«
Es war zu früh, um noch eine einzunehmen. »Ich kann den Arzt anrufen«, schlug sie vor, »und fragen, ob –«
»So schlimm ist es nicht.« Mit einem Nicken bedeutete er ihr, zu gehen. »Gute Nacht.«
Frust kam in ihr auf, und es fühlte sich so an, als würde sie von innen her ersticken, sodass sie es schließlich nicht länger aushielt. Sie konnte keine Minute länger so tun, als wäre sie die perfekte Ashton-Tochter – ruhig, höflich und immer darauf bedacht, sich emotional unter Kontrolle zu haben, damit sich ihr Vater nicht aufregte. Der Mann starb! Wie schlimm konnte ein kleines Ärgernis verglichen damit sein?
»Interessiert es dich denn überhaupt nicht, was ich heute gemacht habe?«, fragte sie ihn und sie wurde dabei etwas zu laut und wütend. Noch ehe er die Möglichkeit hatte, zu antworten, zog sie sich einen Stuhl an sein Bett, setzte sich darauf und fuhr fort. »Ich hatte heute ein Gespräch mit den Eltern eines kleinen Mädchens, das wahrscheinlich an Leukämie sterben wird. Die Überlebenschancen sind heutzutage zwar relativ groß, aber die Kleine ist ziemlich schwach. Falls der Krebs sie nicht umbringt, könnte die Chemotherapie zu viel für sie sein – sie könnte an einem Infekt sterben. Sie könnte sich eine Erkältung einfangen, und ihr ohnehin schon geschwächtes Immunsystem könnte zusammenbrechen. Ich musste mich also hinsetzen und es den Eltern erklären, ihnen gleichzeitig Hoffnung geben und sie über das mögliche Ende in Kenntnis setzen.« Ihre Stimme zitterte. »Ich habe das zwar schon öfter gemacht, aber dieses Mal war es anders. Ich weiß, man kann immer kämpfen, doch in diesem Fall …
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