Toedlicher Hinterhalt
so gern daran. Ich habe den restlichen Tag mit ihm verbracht und wir sind einfach nur durch die Gegend gefahren.« Sie lächelte. »Wir sind zum Antiquitätenmarkt und reingegangen, um uns ein Mineralwasser zu holen, aber ich wusste, dass er sich eigentlich die ganzen alten Sachen ansehen wollte. Er hatte großes Interesse an den geschichtlichen Hintergründen und war den ganzen Tag über verdammt nett zu mir. Ich werde keine einzige Minute davon je vergessen. Alles schien perfekt zu sein – sogar mein zerschrammter Ellbogen, denn wegen dem hatte er ja schließlich angehalten und mir geholfen.«
Sie konnte sich noch ganz genau daran erinnern, wie es gewesen war, auf Toms Motorrad mitzufahren, wie sie die Arme eng um ihn geschlungen, ihre Wange an seinen Rücken gelehnt und die Beine gegen seine gedrückt hatte. Und daran, wie sie am selben Abend nebeneinander in Joes Kombi gesessen hatten, im Kofferraum ihr Fahrrad …
»Zu meiner Liste der besonderen Tage kommt nun noch der heutige hinzu«, erklärte sie. »Denn obwohl er so schrecklich begonnen hat, ist er doch noch wundervoll ausgegangen. Daddy, als ich nach Hause kam und gehört habe, dass du den Tag mit Joe verbracht hast, ohne dass es Streit zwischen euch gab …« Sie blinzelte zwar erst, ließ dann aber einfach zu, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Er sollte sehen, wie sehr sie das ergriffen hatte und immer noch bewegte. Sie zeigte es ihm einfach. »Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass dir klar geworden ist, wie wertvoll diese Zeit ist – die Zeit, die dir noch bleibt – insbesondere für die Menschen, die dich lieben.«
Charles schloss die Augen. Aber er verlangte nicht von ihr, dass sie das Zimmer verließ.
Also wagte sie sich weiter vor. »Ich weiß, du möchtest nicht, dass Joe mit diesem Autor spricht. Du bist sauer auf ihn, aber ich verstehe nicht, warum. Ich mache mir Sorgen, dass ihr euch weiter streitet, du vor Wut irgendetwas sagst, das du bereust, und dann stirbst, bevor du es zurücknehmen kannst. Ich habe Angst, dass du von uns gehst, ohne Frieden gefunden zu haben.« Ihre Stimme zitterte. »Daddy, ich wünschte, du würdest mit mir reden und mir erzählen, worüber ihr so streitet. Wie soll ich denn helfen, wenn ich gar nicht weiß, was Sache ist? Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb sich zwei Menschen überwerfen, die so lange befreundet sind wie ihr beide.«
Charles schwieg so lange, dass Kelly sich sicher war, er würde ihr nicht mehr antworten. Für eine Weile saß sie einfach nur da und ging davon aus, dass er sie komplett ausgeblendet hatte. Er schien sogar eingeschlafen zu sein.
»Ich liebe dich«, wagte sie, ihm zuzuflüstern. »Ich möchte das Gefühl haben, Teil deines Lebens zu sein. Wenn auch nur ein ganz kleines bisschen …«
Dann sagte er plötzlich etwas, ohne die Augen zu öffnen. »Es gab da eine Frau«, wisperte er. »Sie hieß Cybele Desjardins. Der französische Name kam ihm klangvoll über die Lippen, seine Aussprache kam ihr tadellos vor. »Sie war im Widerstand aktiv und hat mir das Leben gerettet – ebenso wie Dutzenden Fliegern der Alliierten und vielen Juden. Sie hatte sich ganz dem Ziel verschrieben, die Nazis zu besiegen. Es machte ihr nichts aus, dass sie dabei ihr Leben riskierte, wenn sie Güterzuglieferungen und Munitionslager der Deutschen sabotierte. Sie war unglaublich mutig und bemerkenswert schön. Diese Augen … Diese Überzeugung …«
Als er zu Kelly aufsah, bemerkte sie schockiert, dass ihm unvergossene Tränen in den Augen standen. Und seine Lippen, die starren Ashton-Lippen, zitterten doch tatsächlich. »Ich war verheiratet«, erzählte er ihr, »und ich wusste, Joe war in sie verliebt und …«
Kelly nahm seine Hand und zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit ließ ihr Vater es auch zu. Eine Frau … Bei diesem Streit zwischen Charles und Joe ging es um eine Frau. Das hatte sie nicht in einer Million Jahren für möglich gehalten.
»Ich kann noch immer nicht über sie sprechen«, fuhr ihr Vater fort und schloss die Augen. »Ich halte es kaum aus, auch nur an sie zu denken . Was Joe da vorhat, wird mir noch einmal das Herz zerreißen – er möchte der ganzen Welt diese Geschichte erzählen.«
Kelly strich ihrem Vater mitfühlend die Haare aus dem Gesicht. Sie wünschte sich, er würde ihr noch mehr erzählen, und war sich gleichzeitig darüber bewusst, dass er ihr bereits mehr gesagt hatte, als sie jemals für möglich gehalten hätte. Eine Frau.
»Möchtest du,
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