Tödlicher Irrtum
Fassung.
»Mein so genannter Bruder Clark war ein Schuft.«
»Aber kein Mörder«, bemerkte Calgary nachdrücklich.
Micky sah ihn an und nickte.
»Sie bleiben also dabei – Clark hat sie nicht ermordet. Aber wer hat sie umgebracht? Das haben Sie sich wohl noch nicht überlegt? Bitte, denken Sie einmal darüber nach, vielleicht wird Ihnen dann endlich klar, was Sie uns allen angetan haben und noch weiter antun.«
Er stand plötzlich auf und verließ abrupt das Zimmer.
4
» I ch bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich nochmals empfangen, Mr Marshall«, sagte Calgary entschuldigend.
»Das ist doch selbstverständlich«, erwiderte der Anwalt höflich.
»Ich nehme an, dass Sie bereits über meinen Besuch bei Clark Jacksons Familie unterrichtet sind.«
»Ja, ich bin im Bilde, Dr. Calgary.«
»Sie werden sich vielleicht wundem, warum ich noch einmal zu Ihnen komme, aber die Dinge haben sich nicht ganz so entwickelt, wie ich es erwartet hatte…«
»Nein, ich verstehe«, meinte der Anwalt. Seine Stimme war ebenso trocken und unbeteiligt wie gewöhnlich, und doch fühlte sich Calgary durch seinen Ton ermutigt fortzufahren.
»Ich glaubte, dass die ganze Angelegenheit nach meinem Besuch erledigt sein würde. Natürlich war ich auf eine gewisse Verstimmung seitens der Familie vorbereitet – obwohl man mir die Gehirnerschütterung wirklich nicht zum Vorwurf machen kann –, andererseits hoffte ich, dass diese Verstimmung schnell einem Gefühl der Dankbarkeit weichen würde, weil Clark Jacksons guter Name durch mein Auftauchen wiederhergestellt worden ist. Aber ich habe mich gründlich geirrt.«
»Ich verstehe.«
»Haben Sie vielleicht mit etwas Derartigem gerechnet, Mr Marshall? Ihr Benehmen bei meinem ersten Besuch hat mich – ehrlich gesagt – ein wenig befremdet. Haben Sie diese Entwicklung vorausgesehen?«
»Sie haben mir bisher noch nicht erklärt, was für eine Entwicklung Sie meinen, Dr. Calgary.«
Arthur Calgary rückte seinen Stuhl weiter vor.
»Ich glaubte, dass mein Besuch in gewisser Weise das Ende eines Kapitels darstellen würde; stattdessen hatte ich das feste Gefühl, dass ich, anstatt etwas zu beenden, etwas angefangen habe – etwas ganz Neues. Verstehen Sie, was ich meine?«
Mr Marshall nickte bedächtig.
»Ja, ich weiß, was Sie meinen, und ich muss zugeben, dass ich bei Ihrem ersten Besuch das Gefühl hatte, Sie seien sich über die Tragweite Ihres Unterfangens nicht im Klaren. Das war auch gar nicht anders zu erwarten, da Ihnen die Hintergründe dieses Falles, die in den Prozessberichten nicht zur Sprache kamen, unbekannt waren.«
»Das ist nur zu wahr«, bestätigte Calgary und fuhr erregt fort: »Sie empfanden weder Erleichterung noch Dankbarkeit – im Gegenteil, sie waren zutiefst beunruhigt. Sie scheinen die Weiterentwicklung der Dinge zu fürchten. Habe ich Recht?«
»Das ist durchaus möglich, aber ich muss hinzufügen, dass ich mir da persönlich kein Urteil erlauben kann«, reagierte der Anwalt vorsichtig.
»Ich habe das Gefühl, dass ich unter diesen Umständen nicht ruhig zu meiner Arbeit zurückkehren kann, bevor ich die Probleme der Menschen gelöst habe, die durch meine Intervention in eine schwierige Situation geraten sind. Ich kann sie jetzt nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.«
Der Anwalt räusperte sich.
»Ist das nicht vielleicht etwas übertrieben, Dr. Calgary?«
»Nein, ich glaube nicht. Man muss die Verantwortung für seine Handlungen übernehmen, und nicht nur für die Handlungen, sondern auch für deren Resultate. Es war mein Wunsch, da ich leider nicht rechtzeitig verhindern konnte, was geschehen ist, wenigstens etwas wieder gutzumachen – es ist mir nicht gelungen. Statt dessen habe ich Menschen neues Leid zugefügt, die bereits schwer gelitten haben. Warum das so ist, verstehe ich allerdings noch immer nicht.«
»Das ist auch kaum zu erwarten«, erwiderte Marshall. »Sie lebten während der letzten achtzehn Monate von der Außenwelt abgeschnitten. Ich bin jederzeit gern bereit, Ihnen alle fehlenden Informationen zu geben.
Wir haben uns zunächst die Frage vorzulegen: Falls Clark Jackson das Verbrechen nicht begangen hat – und das scheint nach Ihren Aussagen festzustehen –, wer hat es begangen?
Damit kommen wir zurück zu den besonderen Umständen des Mordes. Er geschah zwischen sieben und halb acht, an einem Novemberabend, in einem Haus, in dem die Ermordete von ihrer Familie und Mitgliedern ihres Haushaltes umgeben war. Die Haustür
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