Tödlicher Irrtum
Beziehung – auch in finanzieller – die Verantwortung für dich. Wir wollten unserem Sohn nicht nur eine gute Existenz geben, sondern ihm auch helfen, sich eine Existenz zu gründen.«
»Ich möchte auf eigenen Füßen stehen«, beharrte Micky.
»Wie du willst, Micky, aber vergiss nicht, dass dir das Kapital jederzeit zur Verfügung steht.«
»Vielen Dank, Vater. Ich wünschte nur, dass ich dir meine Einstellung zu diesen Dingen besser erklären könnte…«
Es wurde an die Tür geklopft oder, genauer gesagt, gegen die Tür gestoßen.
»Das muss Philip sein, würdest du ihm bitte aufmachen?«, bat Leo.
Micky öffnete die Tür, und Philip fuhr mit seinem Rollstuhl ins Zimmer. Er lächelte den beiden vergnügt zu.
»Hast du viel zu tun, Leo? Bitte lass dich ja nicht durch mich stören, ich werde inzwischen ein wenig in deinen Büchern herumschmökern.«
»Nein, ich habe heute Morgen nichts Besonderes zu erledigen«, erwiderte Leo.
»Ist Gwenda nicht hier?«, fragte Philip.
»Sie hat angerufen und gesagt, sie habe Kopfschmerzen und könne heute nicht herkommen«, erwiderte Leo mit ausdrucksloser Stimme.
»Ich will mal sehen, wo Tina steckt, und versuchen, sie zu einem Spaziergang zu überreden. Das Mädchen hasst frische Luft«, verkündete Micky und verließ das Zimmer.
»Irre ich mich, oder hat Micky sich in letzter Zeit irgendwie verändert?«, fragte Philip. »Er scheint nicht mehr mit sich und der Welt verfeindet zu sein.«
»Er ist eben langsam erwachsen geworden«, meinte Leo.
»Merkwürdig, dass er sich gerade jetzt entschlossen hat, die Welt durch eine rosa Brille zu sehen – ich fand das gestrige Verhör ausgesprochen entmutigend.«
»Natürlich ist es uns allen schmerzlich und peinlich, dass der Fall wieder aufgenommen wurde«, sagte Leo ruhig.
Philip fuhr langsam an den Bücherregalen entlang und nahm hier und da ein Buch aus dem Fach. Schließlich sagte er:
»Glaubst du eigentlich, dass Micky ein Mensch ist, der ein Gewissen hat?«
»Was für eine sonderbare Frage, Philip!«
»Findest du? Es gibt jedenfalls Leute, die ihre Taten niemals bereuen; zu denen gehörte Clark.«
»Das stimmt, Clark kannte keine Schuldgefühle.«
»Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, wenn ich dir eine Frage stelle. Sind dir die Familiengeschichten deiner adoptierten Kinder bekannt?«
»Warum möchtest du das wissen, Philip?«
»Vielleicht nur aus Neugier. Ich frage mich oft, ob Vererbung wirklich eine entscheidende Rolle spielt oder nicht.«
Leo schwieg, und Philip beobachtete ihn interessiert.
Schließlich sagte Leo: »Das ist allerdings eine schwierige Frage. Wie du weißt, sind unsere Kinder unter besonderen Umständen zu uns gekommen. Mary, deine Frau, war die Einzige, die ganz offiziell, mit allen Papieren, Unterschriften etc. adoptiert wurde.
Clark war ein Waisenkind, das uns von einer alten Großmutter übergeben wurde. Sie kam später bei einem Luftangriff ums Leben, und Clark blieb bei uns.
Micky war ein uneheliches Kind, seine Mutter interessierte sich nur für Männer. Sie verlangte hundert Pfund für ihr Kind, die sie erhielt.
Was aus Tinas Mutter geworden ist, wissen wir nicht. Sie hat dem Kind nie geschrieben, sie hat auch nach dem Krieg keinen Versuch gemacht, es zurückzuholen, und es war ganz unmöglich, ihre Adresse zu erfahren.«
»Und Hester?«
»Hester war ebenfalls ein uneheliches Kind. Ihre Mutter war eine junge irische Krankenschwester. Sie heiratete einen amerikanischen Soldaten, kurz nachdem Hester zu uns gekommen war. Sie bat uns, das Kind zu behalten, da sie ihrem Mann seine Existenz verschweigen wollte. Nach Kriegsende fuhr sie mit ihm in die Vereinigten Staaten, seitdem haben wir nichts mehr von ihr gehört.«
»Sehr traurig«, kommentierte Philip. »Niemand wollte die armen kleinen Teufel haben.«
»Deshalb hat Rachel sie ja auch so leidenschaftlich geliebt«, erklärte Leo. »Sie war entschlossen, den Kindern ein richtiges Zuhause zu geben und ihnen eine liebevolle Mutter zu sein. Leider lief nicht alles so, wie sie sich das so vorgestellt hatte. Sie war fest davon überzeugt, dass die Bande des Blutes nicht so wichtig seien, aber leider ist das ein Irrtum. Es ist im Allgemeinen eben doch viel leichter, die Gefühle und Reaktionen der eigenen Kinder zu verstehen.«
»Ich nehme an, dass du dir darüber von Anfang an im Klaren warst«, sagte Philip.
»Ja, ich habe Rachel gewarnt, aber sie hat mir nicht geglaubt«, bestätigte Leo. »Sie wollte es einfach nicht
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