Tödlicher Irrtum
nicht wissen. Warum auch? Sind wir in irgendeiner Weise besser dran, wenn wir’s wissen? Ist es nicht eher umgekehrt?«
Philip sah sie fragend an.
»Du willst also den Kopf in den Sand stecken, Polly, ja? Besitzt du denn überhaupt keinen Funken natürliche Neugier?«
»Ich sage doch: Ich will es nicht wissen! Ich finde das alles einfach grässlich. Ich will es vergessen und nicht immer noch weiter darüber nachdenken.«
»Hast du für deine Mutter so wenig übrig gehabt, dass du nicht einmal erfahren möchtest, wer ihren Tod auf dem Gewissen hat?«
»Was würde es ändern, wenn man weiß, wer sie umbrachte? Zwei Jahre lang haben wir mit der Vorstellung, Clark sei ihr Mörder, ganz zufrieden gelebt.«
»Ja«, bemerkte Philip, »schöne Zufriedenheit, nicht?«
Seine Frau sah ihn zweifelnd an.
»Ich weiß wirklich nicht, was du meinst, Philip.«
»Ich will versuchen, dir meine Einstellung zu erklären, Polly. Ich empfinde den Fall in gewisser Weise als eine Herausforderung an meine Intelligenz. Ich behaupte nicht, dass der Tod deiner Mutter ein besonders schwerer Schlag für mich war oder dass ich sie besonders gern hatte – im Gegenteil. Sie versuchte unsere Heirat zu verhindern, da ich jedoch aus diesem Kampf als Sieger hervorgegangen bin, sah ich es ihr nach. Ich hatte und habe weder den Wunsch, mich zu rächen, noch das leidenschaftliche Verlangen nach Gerechtigkeit. Vielleicht ist es nichts als Neugierde, obwohl ich hoffe, dass Neugierde nicht die alleinige Triebfeder ist.«
»Ich finde, dass du dich in diese Angelegenheit nicht einmischen solltest. Das kann zu nichts Gutem führen. Ich flehe dich an, Philip, lass uns nach Hause fahren, lass uns versuchen, diesen Alptraum hier zu vergessen!«
»Schon gut«, sagte Philip, »du kannst mich natürlich hinverfrachten, wohin du willst, nicht wahr? Aber ich möchte nun mal hier bleiben. Könntest du vielleicht einmal tun, was ich wünsche?«
»Es gibt nichts auf der Welt, was ich nicht für dich tun würde«, erwiderte Mary in beleidigtem Ton.
»Aber was für mich zu tun ist, das weißt du am besten – so ist es doch, oder? Du behandelst mich wie ein Wickelkind.«
Er lachte bitter.
Mary sah ihn verunsichert an.
»Ich weiß nie, ob du Spaß machst oder es Ernst meinst.«
»Außerdem«, sagte Philip, das Thema abrupt wechselnd, »ist es nicht nur Neugierde, ich empfinde es irgendwie als meine Pflicht, die Wahrheit an den Tag zu bringen.«
»Warum? Nur damit noch jemand ins Gefängnis kommt?«
»Du hast mich nicht verstanden, Mary. Ich habe nicht gesagt, dass ich den Täter – falls ich ihn finden sollte – der Polizei übergeben würde. Das hängt von verschiedenen Dingen ab – wahrscheinlich würde ich es schon deshalb nicht tun, weil es sicherlich an stichhaltigen Beweisen fehlen wird.«
»Wie willst du etwas herausfinden, wenn du keine Beweise hast?«
»Es gibt viele Wege, die Wahrheit ein für allemal zu ergründen, und ich halte das für eine unbedingte Notwendigkeit. Es geht etwas vor in diesem Haus, und ich habe das Gefühl, es könnten einige sehr ungute Dinge passieren…«
»Was meinst du damit?«
»Ist dir nichts aufgefallen, Polly? Ich spreche von deinem Vater und von Gwenda Smith.«
»Nein, was ist mit ihnen? Außerdem sagte ich schon einmal, dass ich wirklich nicht weiß, warum Vater in seinem Alter noch einmal heiraten will.«
»Ich kann ihn gut verstehen«, erwiderte Philip. »Seine erste Ehe war nicht ideal, jetzt hat er die Chance, einmal wirklich glücklich zu sein, selbst wenn es ein spätes Glück ist, oder sagen wir, er hatte die Chance, denn in den letzten Tagen hat sich vieles verändert. Dafür gibt es zwei Gründe: Verdacht oder Schuldgefühl.«
»Verdacht auf wen?«
»Gegenseitiger Verdacht – oder gegenseitiges Schuldgefühl.«
»Glaubst du, dass es Gwenda war?«, fragte Mary mit plötzlichem Interesse. »Vielleicht hast du Recht. Ich wäre ja so froh, wenn sie es getan hätte – wenigstens gehört sie nicht zur Familie!«
»Sonst empfindest du nichts?«, bemerkte Philip bitter.
»Nein, natürlich nicht.«
»Du bist leider völlig phantasielos, Mary. Du kannst dich nicht in die Gefühle eines anderen Menschen versetzen.«
»Ich sehe auch gar nicht ein, warum ich es versuchen sollte.«
»Um zu verstehen, was Gwenda und dein Vater leiden müssen, besonders wenn sie unschuldig sind. Wie tieftraurig es für Gwenda ist, eine Entfremdung zu spüren, zu fühlen, dass sie den Mann, den sie liebt, nun doch nicht
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