Tödlicher Irrtum
wahrhaben. Sie betrachtete sie als ihre eigenen Kinder.«
»Am wenigsten weiß ich eigentlich von Tina«, sagte Philip nach einer kurzen Pause. »Hast du eine Ahnung, wer ihr Vater war?«
»Ein farbiger Matrose, möglicherweise ein Laskar… Tinas Mutter konnte uns keine genauere Auskunft über ihn geben«, fügte Leo trocken hinzu.
»Tina ist ein sehr verschlossener Mensch, es ist schwer, sie zu beurteilen… Glaubst du nicht auch, dass sie etwas über den Fall weiß und es aus irgendeinem Grund nicht sagt?«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Leo nach kurzem Zögern.
»Es ist eine reine Gefühlssache«, erwiderte Philip. »Vielleicht weiß sie etwas, das sie uns verschweigt, weil es einer anderen Person schaden könnte.«
»Bitte, sei mir nicht böse, Philip, aber ich halte es für unklug, zu viel über diese Dinge nachzudenken oder gar darüber zu sprechen.«
»Ist das eine Warnung?«
»Nein, ich finde nur, dass man die ganze Angelegenheit mit größter Vorsicht behandeln sollte.«
»Deiner Ansicht nach sollte man sie der Polizei überlassen, nicht wahr?«
»Ja, es ist die Pflicht der Polizei, Fragen zu stellen, die Wahrheit zu ergründen.«
»Hast du selbst nicht den Wunsch, sie zu erfahren?«
»Vielleicht fürchte ich mich davor, etwas zu erfahren, das ich lieber nicht wissen möchte.«
Philips Hand ballte sich zur Faust, er fragte erregt: »Weißt du etwa, wer es getan hat?«
»Nein, wie kommst du darauf?«, reagierte Leo heftig.
Plötzlich schien er nicht mehr der weltfremde, in sich gekehrte Mann zu sein, den Philip so gut kannte.
»Ich weiß nicht, wer es getan hat, verstanden? Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung, und ich will es auch nicht wissen.«
17
» W as hast du denn vor, Hester?«, fragte Philip. Er fuhr in seinem Rollstuhl über den Korridor. Hester beugte sich gefährlich weit aus dem Fenster.
»Ach, du bist es«, sagte sie und wandte sich erschrocken um. »Denkst du über das Universum nach, oder hast du vor, Selbstmord zu begehen?«, fragte Philip.
Sie sah ihn trotzig an. »Wie kommst du denn auf diese Idee?«
»Es sah so aus«, erwiderte Philip, »aber ich möchte dir nicht raten, aus diesem Fenster zu springen. Es ist nicht hoch genug. Es wäre doch sehr peinlich, wenn du mit gebrochenen Beinen auf dem Rasen landest, statt in den elysischen Gefilden. Dann würde ich dir schon eher raten, von dem kleinen Aussichtspunkt beim Sommerhäuschen in den Fluss zu springen.«
»Ich würde wahrscheinlich nicht im Fluss landen, sondern auf dem Felsen davor.«
»Du hast zu viel Sinn fürs Dramatische, Hester, das ist dein Unglück. Die meisten Leute ziehen es vor, schlicht und einfach den Kopf in den Gasofen zu stecken oder ein paar Dutzend Schlaftabletten einzunehmen.«
»Ich bin froh, dass du hier bist«, platzte Hester unvermittelt heraus. »Du hast doch nichts dagegen, über… über diese Dinge zu sprechen, nicht wahr?«
»Im Gegenteil, ich habe ja nichts anderes zu tun«, antwortete Philip. »Komm mit in mein Zimmer, dort können wir uns ungestört unterhalten.«
Als sie zögerte, fuhr er fort: »Mary ist unten in der Küche, um mir höchstpersönlich mein Morgensüppchen zu kochen.«
»Mary würde das alles sowieso nicht verstehen«, meinte Hester.
»Allerdings nicht«, erwiderte er.
Philip fuhr in seinem Rollstuhl über den Korridor zum Wohnzimmer. Hester öffnete die Tür, und er fuhr hinein. Sie folgte ihm.
»Warum hast du so viel Verständnis?«, fragte Hester.
»Ich habe leider reichlich Gelegenheit, über die Dinge nachzudenken… seit meiner Krankheit, und seit ich mir darüber klar wurde, dass ich zeit meines Lebens ein Krüppel bleiben werde.«
»Armer Philip, das muss furchtbar gewesen sein, ganz furchtbar – besonders für einen Piloten«, sagte Hester. »Daran hätte ich öfter denken und rücksichtsvoller sein sollen!«
»Gottlob, dass du es nicht warst«, erwiderte Philip. »Jedenfalls ist diese Phase längst überwunden, man gewöhnt sich an alles. Das betrifft auch dich, Hester, obwohl du es im Augenblick noch nicht begreifst. Aber eines Tages wirst du es sicher verstehen, wenn du nicht vorher noch eine furchtbare Dummheit machst.
So, nun erzähl mir mal, was dich bedrückt! Hast du dich mit deinem Freund gestritten?«
»Gestritten ist vielleicht nicht das richtige Wort«, meinte Hester zögernd.
»Wahrscheinlich ist es nur halb so schlimm, du nimmst die Dinge viel zu ernst. Bei dir gibt es nur schwarz und weiß – keine
Weitere Kostenlose Bücher