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Tödlicher Irrtum

Tödlicher Irrtum

Titel: Tödlicher Irrtum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Zwischentöne.«
    »Ich kann nichts dafür, so bin ich nun einmal«, erklärte Hester. »Mir ist nie etwas geglückt. Ich wollte mein eigenes Leben führen, einen Beruf ergreifen und etwas werden, aber es ist mir nicht gelungen. Ich habe vieles versucht und nichts erreicht. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr habe ich oft daran gedacht, mir das Leben zu nehmen.«
    Philip beobachtete sie aufmerksam; er sagte sachlich: »Viele junge Menschen in der Pubertät nehmen sich das Leben. Die meisten kommen jedoch heil durch diese Krisenzeit. Bei dir scheint es nur leider besonders lang zu dauern, Hester.«
    »Mutter hatte immer Recht, und ich musste sehr oft zugeben, dass ich im Unrecht war; das war mir unerträglich. Deshalb wollte ich mich selbständig machen, um mir zu beweisen, dass ich auch ohne Mutter fertig werden konnte. Aber mir ging alles schief, und ich war eine miserable Schauspielerin.«
    »Unsinn«, widersprach Philip. »Ich nehme an, dass es nur daran lag, dass du dich dem Regisseur nicht unterordnen wolltest und dass du schon damals zu melodramatisch warst.«
    »Dann wollte ich unbedingt eine ernsthafte Liebesaffäre haben«, fuhr Hester fort, »nicht nur so einen kleinen Flirt. Er war viel älter als ich, verheiratet, und bis er mich kennen lernte, war sein Leben sehr unglücklich verlaufen.«
    »Die alte Leier, die er wahrscheinlich nach allen Regeln der Kunst beherrschte«, sagte Philip.
    »Ich hielt es für die große Leidenschaft.« Sie unterbrach sich und sah Philip misstrauisch an. »Machst du dich über mich lustig?«
    »Keineswegs. Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr du gelitten haben musst«, erwiderte Philip.
    »Natürlich war es nicht die große Leidenschaft«, versetzte Hester ironisch. »Es war nichts als eine sinnlose, dumme Affäre. Er war nie unglücklich, alles, was er mir über sein Leben erzählt hat, war erlogen, und ich bin in meiner Naivität auf alles hereingefallen.«
    »Es gibt eben viele Dinge, die man nur durch Erfahrung lernen kann«, erklärte Philip. »Wahrscheinlich hat es dir nichts geschadet, Hester, sondern dir geholfen, endlich erwachsen zu werden.«
    »Mutter hat sich damals wieder großartig benommen«, meinte Hester bitter. »Sie kam sofort, brachte alles in Ordnung und schlug mir vor, eine Schauspielschule zu besuchen, um meinen Beruf gründlich zu erlernen. Aber ich wollte nun nicht mehr Schauspielerin werden, weil ich wusste, dass ich kein Talent besitze. Deshalb fuhr ich mit ihr nach Hause. Was hätte ich auch sonst tun sollen?«
    »Wahrscheinlich hättest du auch eine ganze Reihe anderer Dinge unternehmen können, aber so war es wohl am einfachsten«, erwiderte Philip.
    »Wie gut du mich kennst, Philip! Ich bin leider entsetzlich schwach, ich habe keine Energie und mache es mir immer so leicht wie möglich.«
    »Ich glaube, du hast zu wenig Selbstvertrauen, Hester«, sagte Philip begütigend.
    »Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Adoptivkind bin und das außerdem erst entdeckte, als ich fast sechzehn Jahre alt war. Ich wusste, dass die anderen adoptiert waren, aber ich glaubte immer, das leibliche Kind meiner Eltern zu sein. Das Ganze war ein furchtbarer Schock für mich, ich hatte das Gefühl, nirgendwo hinzugehören.«
    »Du hast wirklich einen Hang zur Übertreibung«, stellte Philip fest.
    »Sie war nicht meine Mutter, und deshalb konnte sie mich nie verstehen«, beharrte Hester. »Sie war gut und nachsichtig, sie versuchte, mein Leben nach ihren Wünschen zu gestalten, und deshalb hasste ich sie; ich weiß, es klingt grässlich, aber ich hasste sie wirklich.«
    »Weißt du, dass das durchaus nichts Ungewöhnliches ist?«, sagte Philip. »Viele junge Mädchen machen eine Zeit durch, in der sie glauben, ihre eigene Mutter zu hassen.«
    »Ich hasste sie, weil sie immer Recht hatte«, erklärte Hester. »Mein Gefühl der Unzulänglichkeit wuchs, weil sie so praktisch und tüchtig war. Das alles ist furchtbar, Philip! Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun…?«
    »Heirate deinen netten jungen Freund und sei eine gute Arztfrau«, riet Philip. »Oder genügt es dir nicht, die Frau eines Praktikers zu werden?«
    »Er will mich jetzt nicht mehr heiraten«, erwiderte Hester niedergeschlagen.
    »Hat er das gesagt, oder redest du es dir ein?«
    »Er glaubt, dass ich Mutter ermordet habe.«
    Nach kurzem Zögern fragte Philip: »Und – hast du es getan?«
    Sie sah ihn entsetzt an. »Warum fragst du mich das?«
    »Nur aus allgemeinem Interesse, und natürlich

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