Tödlicher Irrtum
Sie in Schwierigkeiten?«
»Wir sind alle in furchtbaren Schwierigkeiten«, erwiderte Hester. »Aber man ist so egoistisch, man denkt nur an sich selbst.«
»Setzen Sie sich doch, meine Liebe«, bat er sanft.
Er bot ihr einen Sessel an, von dem er verschiedene Papiere und Aktenstöße entfernt hatte. Dann ging er zu einem Eckschrank.
»Sie müssen unbedingt etwas trinken«, sagte er. »Wie wär’s mit einem trockenen Sherry?«
»Was Sie wollen.«
»Bitte, beruhigen Sie sich, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
Er stellte das gefüllte Glas neben sie auf den Tisch.
»Das sagt man so, aber es ist nicht wahr«, erwiderte Hester.
Sie trank den Wein in kleinen Schlucken, dann wiederholte sie anklagend: »Ehe Sie kamen, war alles in schönster Ordnung. Sie sind an allem schuld!«
»Ja, ich weiß, was Sie meinen, obwohl ich sehr erstaunt war, als Sie es mir zum ersten Mal sagten. Jetzt begreife ich nur zu gut, welchen Kummer und welche Verwirrung meine Mitteilung für Sie alle bedeutet haben muss.«
»Solange wir glaubten, dass es Clark war…« Hester sprach den Satz nicht zu Ende.
»Ich weiß, Hester, aber man muss den Dingen auf den Grund gehen, es hat keinen Sinn, in einer Traumwelt zu leben.«
»Sie meinen, dass man den Mut zur Wahrheit haben muss, nicht wahr?«, sagte Hester.
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort:
»Sie hatten diesen Mut! Sie sind zu uns gekommen, um selbst mit uns zu sprechen. Sie konnten nicht wissen, wie wir darauf reagieren würden. Das war tapfer von Ihnen, und ich bewundere Tapferkeit, weil ich selbst ein Feigling bin.«
»Bitte erzählen Sie mir von Ihren Schwierigkeiten«, forderte Calgary sie freundlich auf. »Handelt es sich um etwas Bestimmtes?«
»Ich hatte einen Traum«, begann Hester. »Ich habe einen Freund, einen jungen Arzt …«
»Ist er Ihnen mehr als ein Freund, Hester?«
»Ich glaubte, dass wir mehr wären als Freunde«, erwiderte sie, »aber jetzt – jetzt hat sich alles geändert. Er denkt, dass ich sie ermordet habe«, fügte sie atemlos hinzu. »Vielleicht ist er nicht fest davon überzeugt, aber er hält es nicht für unmöglich. Er hat ja Recht, wir alle verdächtigen uns gegenseitig. Es ist ein entsetzlicher Zustand, und dann hatte ich diesen Traum… Ich war plötzlich ganz allein und konnte Don nicht wiederfinden. Er hatte mich am Rand eines tiefen Abgrunds verlassen, und Sie standen auf der anderen Seite und streckten eine Hand aus. ›Ich will Ihnen helfen‹, sagten Sie… Und deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Wenn Sie mir nicht helfen können, weiß ich nicht, was wird. Sie müssen uns helfen. Vielleicht werden Sie sagen, dass die ganze Sache Sie nichts angeht…«
Calgary unterbrach sie. »Aber nein, Hester, wie können Sie das nur von mir denken? Ich trage mit die Verantwortung für das, was nun als Folge meiner verspäteten Aussage geschieht, und es ist meine Pflicht, Ihnen beizustehen.«
Er setzte sich dicht neben sie.
»So, und nun erzählen Sie mir bitte mal, was Sie bedrückt.«
»Einer von uns muss es gewesen sein, das wissen wir alle«, erklärte Hester. »Als Mr Marshall kam, behaupteten wir, ein Fremder sei ins Haus eingedrungen, aber er wusste genau, dass wir es selbst nicht glaubten. Es muss einer von uns gewesen sein.«
»Glaubt Ihr Freund, dass Sie den Mord begangen haben?«
»Er fürchtet es«, erwiderte Hester und rang ihre Hände. Sie sah ihn an. »Vielleicht glauben Sie das auch?«
»Nein, nein, ich weiß ganz genau, dass Sie unschuldig sind«, sagte Calgary fest.
»Sind Sie wirklich überzeugt davon?«
»Ja, ich bin fest davon überzeugt!«
»Aber warum, warum sind Sie so sicher?«
»Erinnern Sie sich, was Sie nach unserem ersten Zusammentreffen beim Abschied zu mir sagten? Sie sprachen von den Unschuldigen, die für die Schuldigen leiden müssten… Das hätten Sie nicht sagen, nicht fühlen können, wenn Sie nicht selbst unschuldig wären.«
»Ich bin ja so glücklich«, rief Hester. »Ich bin so glücklich, dass es einen Menschen gibt, der wirklich an mich glaubt!«
»So, und jetzt können wir die Angelegenheit ruhig besprechen, nicht wahr?«, sagte Calgary.
»Ja, jetzt sieht plötzlich alles ganz anders aus.«
»Ich möchte Sie etwas fragen, aber nur aus rein theoretischem Interesse – ich bin felsenfest von Ihrer Unschuld überzeugt. Wie können andere auf den Gedanken kommen, dass Sie Ihre Mutter ermordet haben?«
»Ich hätte es tun können«, gab Hester zu, »ich hatte oft den Wunsch,
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