Toedlicher Irrtum
auf dem Foto der Vermisstenabteilung mit offenen Augen gesehen hatte. Die beiden starrten Sara und Brass unverhohlen an, was kaum verwundern konnte, und ihr Blick war typisch für Eltern, deren tragisches Schicksal ihnen genug Kontakt zur Polizei beschert hatte, um zu wissen, dass dies ein offizieller Besuch war.
Brass trat näher und zeigte ihnen die Marke in seiner Brieftasche. »Captain Jim Brass, Sara Sidle vom CSI. Sie sind das Ehepaar Dean?«
»Ich bin Jason Dean«, entgegnete der Mann rasch und schüttelte Brass die Hand. »Das ist meine Frau – Crystal, Kathys Mutter. Darum sind Sie doch hier? Wegen Kathy?«
»Ja. Ja, so ist es.«
Crystal Dean musterte sie starren Blicks, und in ihrer Miene spiegelte sich eine unterdrückte, aber unverkennbare Furcht.
»Meinen Sie nicht, wir sollten uns besser drinnen unterhalten?«, fragte Brass.
Ehe irgendjemand auch nur einen Schritt tun konnte, rannen schon die Tränen über Crystal Deans Wangen. Ihr Ehemann legte den Arm um sie, und sie sagte mit zitternder Stimme: »Wir haben über drei Monate gewartet. Können Sie uns nicht einfach sagen, was los ist? Jetzt?«
»Liebling«, sagte Jason Dean, »lass uns reingehen und dort mit diesen netten Leuten reden.«
Sanft versuchte er, sie in Richtung Haus zu dirigieren, aber sie ließ sich nicht darauf ein.
Ihre Augen blinzelten nicht, waren in einer Emotion erstarrt, die nicht weit vom Zorn entfernt lag. »Sagen Sie es uns jetzt – bitte!«
»Wir haben ihre Tochter gefunden …«, fing Brass an.
Sara schob sich näher an Mrs Dean heran, ohne dass die Frau etwas davon merkte.
»Wenn es Kathy gut ginge«, sagte ihre Mutter, »dann hätten Sie uns das schon gesagt, nicht wahr? Sie würden lächeln! Sie würden nicht aussehen … als wollten Sie in Tränen ausbrechen.«
»Ihre Tochter ist tot«, sagte Sara. »Es tut mir Leid.«
»Was soll das heißen, es tut Ihnen Leid? Denken Sie, wir hätten nicht gewusst, dass sie tot ist? Nach all der Zeit? Sie denken … Sie denken …«
Crystal Dean stand kurz vor einem Zusammenbruch, aber ihr Ehemann und Sara waren vorbereitet. Sie ergriffen beide jeweils einen Arm der Frau und führten sie zum Haus. Mr Dean warf Brass seine Schlüssel zu, und Brass fing sie einhändig auf. Der Detective schob sich an der kleinen Prozession vorbei und schaffte es, auf Anhieb den richtigen Schlüssel zu finden. Er riss die Tür weit auf und ging aus dem Weg, als Sara und der Ehemann die am Boden zerstörte Crystal Dean ins Haus geleiteten.
Hinter der Haustür lag das Wohnzimmer, und Sara half Dean, seine Frau zu einer Couch zu führen und sich neben ihr auf die Polster fallen zu lassen.
»Danke«, sagte er zu Sara. Er wirkte schrecklich gefasst, als er den Arm um die Schultern seiner Frau legte und die weinende Crystal an sich zog. Dann brach auch er in Tränen aus, und Sara fühlte, wie auch ihr die Tränen in die Augen stiegen, obwohl sie diese Leute gerade erst kennen gelernt hatte. Hastig wandte sie sich ab.
Zusammen mit Brass zog sie sich auf die entgegengesetzte Seite des großzügigen Wohnzimmers zurück, das mit weißen Ledersitzmöbeln eingerichtet war, während die Tische und die Stereomöbel aus dunklem, poliertem Kirschholz bestanden. Familienfotos schmückten die Wände oder waren auf einem Beistelltischchen platziert. Es waren Fotos zu sehen, die Kathy in dem Kleid zeigten, das sie zum Abschlussball der High School getragen hatte. In Saras Augen erzählte der ganze Raum die Geschichte einer vom Glück beseelten Familie, erfolgreich, wohlhabend, gesegnet mit allem, was sich eine amerikanische Familie nur wünschen konnte – abgesehen von einem Happy End.
»Sind sie der Sache gewachsen?«, fragte Sara Brass im Flüsterton.
»Geben wir ihnen ein paar Sekunden. Wir folgen ihrem Tempo.«
Vielleicht zwei Minuten später bat Jason Dean seine Gäste näher zu treten. Wie zwei Angeklagte, die auf die Entscheidung der Geschworenen warteten, standen sie dort.
Während seine Frau ihr Gesicht noch immer an seiner Schulter vergrub, fragte Jason Dean: »Wo ist sie?«
»In der Obhut des Gerichtsmediziners«, antwortet Brass.
Sara kam nicht umhin, das Taktgefühl zu bewundern, das aus der Wortwahl des Detectives sprach. Von einem Leichenbeschauer hätten diese Leute sicher nichts hören wollen.
Mrs Dean löste sich mit tränenüberströmten Gesicht ein wenig von ihrem Ehemann. »Können wir sie sehen?«
»Natürlich«, beruhigte sie Brass. »Aber es wäre hilfreich, wenn wir uns erst
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