Toedlicher Irrtum
nettes Mädchen.«
»Kathy kannte viele Leute«, fuhr ihre Mutter fort, »hatte viele Bekannte, sie hat nur den meisten nicht … nahe gestanden. Sie war eher eine Einzelgängerin und hat sich auf ihre Schule konzentriert.«
»Hatte sie einen Freund?«, fragte Sara ungezwungen.
»Nein!«, erwiderte Dean.
Die Antwort war laut – und überraschend – genug, dass Sara ein wenig zusammenzuckte.
Brass fragte sich, warum die Reaktion so heftig ausgefallen war, beschloss aber, nicht darauf herumzuhacken. Er sah Sara an und gab ihr mit einem Blick zu verstehen, sie solle weitermachen.
»Ich weiß, wie das ist«, sagte Sara. »Ich habe mich selbst so sehr auf das Lernen konzentriert, dass ich gar keine Zeit für Jungs hatte.«
»Genauso war es auch mit Kathy«, sagte Dean. »Sie hatte ihre Schule und ihr Training, worauf sie sich konzentrieren musste. Außerdem muss ich Ihnen sicher nicht sagen, worauf die Jungs aus sind. Denen geht es nur um eines. Immer nur um das Eine.«
In diesem Moment beschloss Brass, dass heute nicht der richtige Tag war, diese Eltern darüber aufzuklären, dass ihre Tochter schwanger gewesen war.
Stille senkte sich über den Wagen, und Brass fragte sich, ob sie bereits zu weit gegangen waren. Die beiden schienen sich wieder zu verschließen, und das würde keinem nützen, auch nicht der verstorbenen Kathy. Als er erneut einen Blick in den Rückspiegel warf, sah er, dass Mrs Dean ihrem Mann das Knie tätschelte. Die Tränen flossen wieder, und Brass nahm an, dass er es vermasselt hatte.
Er hätte auf der Fahrt so viel wie möglich aus ihnen herausholen müssen. Wenn sie ihre Tochter erst im Leichenschauhaus gesehen hatten, wären sie nicht mehr in der Verfassung oder in der Stimmung, Brass die Informationen zu liefern, die er brauchte.
Dann, aus dem Nichts heraus, sagte Mrs Dean: »Neben der Schule und dem Laufen hat Kathy auch noch mehrere Jobs gehabt.«
»Jobs?«, fragte Brass. »Tatsächlich. Obwohl sie so viel zu tun hatte?«
»Ja! Sie hat in Habinero’s Cantina gekellnert, und sie war Babysitter für mehrere Leute. Sie hat sich sogar als Freiwillige bei der Blutbank gemeldet.«
»Habinero’s Cantina?«, hakte Brass nach. »Ist das …«
»Am Sunset«, sagte Dean. »In Henderson.«
Kurz darauf rollte der Taurus auf den Parkplatz des CSI-Hauptquartiers, und während Brass den Deans beim Aussteigen half, ging Sara schnell hinein, um Dr. Robbins Bescheid zu geben.
Brass führte die trauernden Eltern in einen kleinen, gefliesten Raum, ein wenig abseits der Gerichtsmedizin. Die obere Hälfte der Wand bestand aus einem großen Fenster, das hinter einem Vorhang verborgen war. Das Mobiliar bestand lediglich aus zwei Stühlen und einem Metalltisch, auf dem eine Schachtel mit Taschentüchern bereitstand.
Die Deans drängten sich vor dem Vorhang zusammen, sein Arm über ihren Schultern, ihr Arm um seine Taille geschlungen. Brass hatte ihnen bereits erklärt, was passieren würde, wenn er den Vorhang öffnete. Sara würde das Gesicht der Toten entblößen, um eine Bestätigung zu erhalten, dass es sich wirklich um ihre Tochter handelte.
Große Zweifel konnte es in diesem Fall nicht geben, aber dieser Formalität durften sie sich dennoch nicht entziehen.
»Bereit?«, fragte Brass so sanft er konnte.
Dean atmete hörbar aus und spannte den Griff um die Schultern seiner Frau an. Dann nickte er.
Brass zog an der Vorhangschnur, und der Stoff glitt zur Seite. Auf der anderen Seite der Glasscheibe wartete Sara. Die Baseballkappe hatte sie abgesetzt, und ihr Gesicht wirkte ernst. Zwischen Sara und der Sichtscheibe lag eine Leiche zugedeckt auf einer Rollbahre.
Als Brass ihr zunickte, zog Sara das Laken zurück, um den Blick auf Kathy Dean vom Hals aufwärts freizugeben.
Jason Dean stöhnte, und seine Frau sackte in seinen Armen zusammen. Dann tat die Mutter einen hastigen Schritt vorwärts und legte die Hand vor dem Gesicht der Tochter flach an die Scheibe, sodass ihr Atem sich auf dem Glas niederschlug. Nun weinten beide. Mrs Dean wimmerte, und die Lippen ihres Mannes bebten, aber keiner sprach ein Wort.
Brass hatte die Arbeit als Detective der Mordkommission abgehärtet, aber er war auch ein Vater. Und gerade jetzt hasste er seinen Job beinahe so sehr, wie er ihn lieben würde, wenn Kathy Deans Mörder erst hinter Schloss und Riegel war.
Als Brass erneut nickte – sein Signal an Sara, die Leiche wieder zuzudecken – winkte ihr Dean zu, innezuhalten.
Den Blick unverwandt auf das
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