Tödlicher Mittsommer
Kindergeld. Als Entschädigung für das, was die Kinder anstellen«, versuchte sie mit ihm zu scherzen.
Henrik kochte immer noch.
»Sie müssen lernen, vorsichtig mit den Sachen umzugehen. Ich habe Kinder so satt, die immer nur Sachen um sich herum verstreuen und alles kaputt machen.«
Er ging zur Treppe und rief hinauf:
»Simon, Adam, kommt auf der Stelle nach unten! Ich habe mit euch zu reden. Sofort!«
»Wir haben nichts gemacht«, tönte es im Chor aus dem Kinderzimmer.
»Ihr sollt runterkommen, habe ich gesagt.«
»Kannst du Signe nicht fragen, ob sie dir ein Netz leiht? Sie hat doch so viele«, schlug Nora vor, in der Hoffnung, das drohende Donnerwetter zu vereiteln und gleichzeitig Henriks Fischerglück zu retten.
Er ließ sich erweichen und senkte die Stimme ein wenig.
»Kannst du sie nicht fragen? Du kennst sie besser als ich.«
»Natürlich«, erwiderte Nora, erleichtert darüber, dass die Krise offenbar entschärft war. »Ich geh gleich mal rüber. Lass mich nur kurz die Omeletts fertig backen.«
Nora öffnete die schöne handgemachte, doppelte Gartenpforte zur Brand’schen Villa, ging die wenigen Schritte zur Haustür und klopfte.
Auf Sandhamn gab es keine Klingeln. Entweder stand die Haustür offen, dann rief man ein freundliches ›Hallo‹ hinein, bevor man das Haus betrat, oder man klopfte laut und vernehmlich. Das eine war so gut wie das andere, Hauptsache, man machte sich irgendwie bemerkbar.
Signe öffnete die Tür in ihrer üblichen Küchenschürze, in der Nora sie tagein, tagaus all die Jahre gesehen hatte. Manchmal fragte sie sich, ob Signe – so wie das Phantom mit all seinen Trikots in der Totenkopfhöhle – einen unerschöpflichen Vorrat an identischen Schürzen hatte, die sie wechselte, wenn eine davon zerschlissen war.
Nora grüßte freundlich.
»Ich wollte dich fragen, ob wir uns ein Barschnetz von dir ausleihen könnten. Adam und Simon haben unseres beim Spielen kaputt gemacht. Sonst fällt wohl heute unser Abendessen aus, wir hatten nämlich vor, ein Tagesnetz auszuwerfen.«
Sie zwinkerte Signe zu.
»Henrik ist nicht begeistert, wie du dir denken kannst. Er hat den Jungs eben zur Strafe zwei Stunden Computerzeit gestrichen. Sie spielen bestimmt nie mehr unerlaubt im Bootsschuppen.«
»Aber sicher kannst du ein Netz haben, Nora. Geh einfach hinunter zum Schuppen und such dir aus, was du brauchst.«
Kajsa kam an die Tür und steckte ihre feuchte Nase heraus. Nora bückte sich und streichelte sie. Kajsa war der liebste Hund der Welt. Die grauen Haare um die Schnauze verrieten, dass sie auch langsam alt wurde, genau wie ihr Frauchen.
Signe reichte ihr den Schlüssel zum Schuppen.
»Aber ihr müsst das Netz selbst ausklopfen, bevor ihr es zurückbringt.«
Nora lächelte. Mit Netzen voller Tang und Seegras war nicht zuspaßen. Signe wusste, wovon sie sprach. Man konnte das Netz stundenlang mit der Wacholderrute abklopfen, ohne dass es richtig sauber wurde.
Es war Signe gewesen, die Nora beigebracht hatte, wie man ein verschmutztes Netz am besten wieder sauber bekam. Man brauchte es nur für ein paar Wochen in der Erde zu vergraben. Die Enzyme im Boden lösten den Tang auf, das Seegras zerfiel, und das Netz war auf wunderbare Weise wieder wie neu.
Ein alter Trick der Schärengartenfischer, der hin und wieder sehr nützlich sein konnte.
Nora ging hinunter zum Bootshaus. Es lag direkt neben dem Landungssteg, der zum Grundstück der Familie Brand gehörte. Ein typischer Bootsschuppen in Falunrot mit grüner Tür.
So mancher Bewohner der Insel war neidisch auf Signes großen Steg, an dem viele Boote Platz fanden. Die Nachfrage war stets größer als das Angebot. Am Schwarzen Brett im Hafen hingen immer Gesuche von Bootsbesitzern, die keinen Liegeplatz hatten. Der durchschnittliche Preis war in der letzten Zeit in die Höhe geschossen und belief sich derzeit auf einige Tausend für den Sommer.
Viele der Einheimischen verdienten sich ein Zubrot damit, freie Plätze an ihren Bootsstegen zu vermieten. Signe ließ zwei Familien, die schon seit ewigen Zeiten Sommerhäuser auf Sandhamn besa-ßen, für einen recht geringen Betrag am Brand’schen Steg festmachen.
Nora steckte den großen alten Schlüssel in das Schloss der Schuppentür. Drinnen war es nahezu dunkel, die kleine Lampe unter der Decke verbreitete kaum mehr als Schummerlicht.
Wo hingen denn nun die Barschnetze?
Ihr Blick suchte die Längswand ab. Die meisten Netze waren in gutem Zustand, aber das eine oder
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt