Tödlicher Mittsommer
über Bord gefallen ist. Aber die beiden haben ihre Beobachtung erst gemeldet, als sie am nächsten Tag von Bord gingen, und ansonsten gab es nichts, was dafür sprach, dass es einen solchen Vorfall gegeben hatte. Außerdem waren der Junge und das Mädchen an dem Abend offenbar betrunken, deshalb kam der Kapitän zu der Einschätzung, dass nichts passiert war.«
Marcus Björk lachte nervös auf.
»Was wurde daraufhin unternommen?« Margit blickte fragend aufs Telefon.
»Leider nicht viel. Es war schwer, das Pärchen ernst zu nehmen. Sie können sich nicht vorstellen, wie oft die Leute einfach irgendwas behaupten.«
Letzteres kam ziemlich kleinlaut, als habe Marcus Björk Angst, jemand könnte einen Fehler gemacht haben.
»Aber weil Sie nach den Passagierlisten gefragt hatten, dachte ich, es interessiert Sie vielleicht, dass für den betreffenden Abend tatsächlich eine Auffälligkeit gemeldet worden ist«, fügte er hinzu.
Thomas und Margit wechselten einen Blick. Margit gab Thomas das Daumen-hoch-Zeichen.
»Namen?«, formulierte sie lautlos mit den Lippen.
Thomas beugte sich zum Telefon vor.
»Haben Sie die Namen der Jugendlichen?«
»Ja, die haben wir. Wir wissen, wie sie heißen und wo sie wohnen. Der Kapitän hatte sicherheitshalber ihre Anschriften notiert. Zum Glück.«
Marcus Björk klang jetzt nicht mehr enthusiastisch, eher ein wenig ängstlich.
»Sehr gut«, sagte Thomas und nickte Margit zu.
»Können Sie uns die Angaben gleich mailen?«
»Natürlich.« Es blieb für einen Moment still in der Leitung. »Sagen Sie einfach Bescheid, wenn wir Ihnen noch anderweitig helfen können«, bot Marcus Björk an.
»Haben Sie Überwachungskameras an Bord?«, fragte Margit.
»Ja, die haben wir. An ziemlich vielen Stellen.«
»Dann hätten wir sehr gern die Bänder vom vorletzten Sonntag. Montag bis Mittwoch auch, falls das geht. So schnell wie möglich.«
»Selbstverständlich, sobald das Schiff wieder in Stockholm ist, werde ich das veranlassen.«
Margit sah auf die Uhr und seufzte.
»Und wann ist das?«
»Lassen Sie mich nachsehen.«
Den Geräuschen im Hintergrund nach zu urteilen, blätterte Marcus Björk einen Haufen Papiere durch. »Das müsste er doch im Kopf haben«, murmelte Thomas Margit zu.
»Heute am späten Nachmittag. Sie legt ja um neunzehn Uhr schon wieder ab.«
Margit drehte gedankenverloren einen Stift zwischen den Fingern, während Thomas das Gespräch beendete und auflegte.
»Könnten wir so ein Schweineglück haben, dass auf den Videobändern der Überwachungskameras Jonny Almhult und sein Mörder zu sehen sind?«, überlegte Margit laut.
Sie riss den Zettel heraus, auf den sie Strichmännchen gemalt hatte, und knüllte ihn zu einer Kugel zusammen, die sie mit großer Treffsicherheit in den Papierkorb in der hintersten Ecke schnippte.
Dann sah sie Thomas skeptisch an.
»Oder wäre das zu viel erhofft?«
Er blätterte in seinem Block und schlug die Notiz auf, die er sich gemacht hatte: Viking Strindbergs Telefon abhören.
»Was sagt die Staatsanwältin zu der Lauschaktion, über die wir neulich gesprochen haben?«
Margit lehnte sich zurück und verdrehte die Augen.
»Das gefiel ihr natürlich gar nicht. So was mögen Staatsanwälte ja selten. Aber dann zitiert man eben ein bisschen aus Kapitel siebenundzwanzig der Strafprozessordnung.«
Margit konnte den Text auswendig.
»Heimliche Telefonüberwachung kann im Zuge der Verfolgung von Straftaten angeordnet werden, für die keine geringere Strafe als sechs Monate Freiheitsentzug zu verhängen ist.«
Auf ihrem Gesicht erschien ein zufriedener Ausdruck.
»Wenn man Alkohol im Wert von mehreren Millionen Kronen aus dem Systembolaget schmuggelt und ihn anschließend steuerfrei an diverse Gaststätten verscherbelt, wandert man wohl für mehr als sechs Monate hinter Gitter, oder?«
Thomas lächelte in sich hinein, während er an Staatsanwältin Öhmans Widerwillen gegen die Anordnung einer Telefonüberwachung dachte. Abhörmaßnahmen passten schlecht in das Bild, das viele sichvon einer demokratischen Gesellschaft machten. Aber in einer polizeilichen Ermittlung waren sie ein mächtiges Werkzeug, das oft die entscheidenden Puzzlesteinchen zur Aufklärung eines Falles lieferte.
Diesmal schien die Staatsanwältin ungewöhnlich schnell klein beigegeben zu haben.
»Die Überwachung sollte im Laufe des Tages stehen, falls die Kollegen tun, was man ihnen gesagt hat. Ich habe Kalle darangesetzt«, sagte Margit. »Außerdem
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