Tödlicher Mittsommer
Abfahrt. Aber sie konnte ebenso gut schon jetzt die Picknickkörbe packen. Was hatte sie auch sonst Besseres zu tun. Sie verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln und ging hinunter in die Küche.
Die Omeletts, die sie am Vortag gebacken hatte, sollten in marmeladengefüllte Röllchen für die Jungs verwandelt werden. Ihr selbst genügten ein paar belegte Brote. Die Omelettröllchen bekamen Gesellschaft von Gurken- und Karottenstäbchen. Eine Thermoskanne Kaffee und eine große Flasche Saft, dazu noch ein paar Zimtschnecken, und fertig war das Picknick.
Sie sah wieder auf die Uhr. Die Zeiger standen auf Viertel nach sieben. Noch über zwei Stunden, bis sie losmussten.
Seufzend begann sie den Frühstückstisch zu decken, um etwaszu tun zu haben. Sie fragte sich, ob ordentlich Wimperntusche und Grundierung ihre rot geschwollenen Augen kaschieren konnten. Vermutlich nicht.
Dann musste sie eben den ganzen Tag eine dunkle Sonnenbrille tragen. Zum Glück schien ja die Sonne, sodass sich niemand darüber zu wundern brauchte.
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Kapitel 65
Das Charterboot war dicht besetzt mit erwartungsvollen Passagieren. Sicher die Hälfte von ihnen waren Kinder, deshalb war die Lautstärke ziemlich hoch. Nora kannte fast alle an Bord. Signe war zusammen mit Kajsa gekommen und hatte sich neben Noras Eltern gesetzt. Dann wurde abgelegt, und das Schiff nahm Kurs auf Grönskär.
Sie machten am Kolbrantenkajen direkt unterhalb des Leuchtturms fest. Der alte Kleinboothafen auf der Nordseite war mittlerweile zu seicht, aber dieser Kai war aus Beton und bot auch größeren Schiffen Platz.
Der Anblick von Grönskär war überwältigend.
Der Leuchtturm wurde wegen seiner schönen Silhouette »Königin der Ostsee« genannt. Er gehörte der Schärengarten-Stiftung, die ihn sorgsam pflegte und unterhielt. Der derzeitige Leuchtturmwärter, oder Leuchtfeuerwärter, wie es eigentlich hieß, hatte sich mit viel Leidenschaft der Bewahrung des Turms verschrieben.
Der fast zwanzig Meter hohe Leuchtturm dominierte die kleine Insel, die kaum mehr als vierhundert Meter lang war. Hoch aufragend stand er da wie ein Denkmal, das von der jahrhundertelangen Notwendigkeit zeugte, den Segelschiffen einen sicheren Weg in den geschützten Hafen von Sandhamn zu weisen.
Der Leuchtturmwärter stand breitbeinig am Kai und begrüßte die Besucher. Die Reiseführerin, eine muntere Einheimische aus Sandhamn, erzählte enthusiastisch die Geschichte des Leuchtturms, während sie die Gruppe zum Eingang dirigierte.
»Der Leuchtturm Grönskär wurde nach einem Entwurf des bekannten Architekten Carl Fredrik Adelcrantz im Jahr 1770 aus Granit und Sandstein erbaut. Der Turm ist achteckig und im unteren Bereich etwas breiter als an der Spitze. Ursprünglich wurde er mit offenem Steinkohlenfeuer betrieben, das jedoch 1845 durch eine sogenannte Linse dritter Ordnung und Rübenölbefeuerung ersetzt wurde. Im Jahre 1910 erhielt der Turm Gasbefeuerung in Form einer Luxlampeund außerdem eine Lamellenvorrichtung, die es ermöglicht, unterschiedliche Lichtsignale zu senden.«
Sie beugte sich zu Simon und Adam hinunter.
»Stellt euch vor, Jungs. Bevor man einen Aufzug eingebaut hat, musste der arme Leuchtturmwärter jeden einzelnen Sack Kohlen die Treppen hinauftragen. Das war harte Arbeit, wisst ihr.«
Simon starrte die Frau mit weit aufgerissenem Mund an. Sie lächelte.
»Willst du mal raten, wie viel Stufen das waren?«
Simon überlegte, dann hielt er alle zehn Finger hoch.
»Mehr als so viel?«
»Viel mehr.«
»Klar, Mann, das waren bestimmt mehrere Hundert«, sagte Adam und sah seinen kleinen Bruder zurechtweisend an.
Und dann zur Reiseleiterin gewandt:
»Mein Bruder kann nicht so gut rechnen, er geht noch nicht zur Schule.«
Die nette Frau lachte und klopfte ihm auf die Schulter.
»Leider hat keiner von euch beiden recht. Der Turm hat insgesamt etwas über neunzig Stufen, aber das sind auch genug, das kann ich euch versichern. Wartet nur, bis ihr die Treppen hochgegangen seid.«
Sie wandte sich der Gruppe zu und erzählte weiter.
»Der Leuchtturm wurde 1961 stillgelegt und durch das Offshore-Leuchtfeuer Revengegrundet vor Korsö ersetzt. In den Neunzigerjahren wurde der Leuchtturm Grönskär mit staatlichen Mitteln restauriert, und jetzt strahlt er ein schwaches grünes Licht aus. Noch ist also Leben in ihm.«
Sie zeigte auf die Treppe.
»So, dann wollen wir mal hinein. Nicht so viele auf einmal, es ist ziemlich eng dadrinnen. Seid vorsichtig, damit ihr
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