Tödlicher Mittsommer
wie man es sich wünscht.«
Signe blickte aufs Meer hinaus und sank ein wenig in sich zusammen.
»Es gibt eine ganze Menge, das anders kommt, als man gewollt hat. Und das man erst bereut, wenn es zu spät ist.«
In Gedanken versunken ging Nora zurück zum Haus.
Sie nahm mechanisch die Kissen von den Gartenstühlen und schloss die Haustür ab. Wie üblich bekamen die Geranien jetzt nach Sonnenuntergang einen Schluck Wasser. Dann machte sie das Licht im Erdgeschoss aus und ging die Treppe hinauf zum Zimmer der Jungs.
Das einzige Geräusch im ganzen Haus waren ihre leichten Atemzüge im Schlaf.
Simon lag wie üblich in Gebetshaltung auf den Knien und hatte den Kopf tief ins Kissen gebohrt. Nora beugte sich über ihn und streichelte ihm leicht über die Wange. Er schwitzte ein wenig im Schlaf, die Haare ringelten sich über seinen Ohren.
Leise nahm sie Simon hoch und trug ihn vorsichtig in ihr eigenesBett. Er kuschelte sich unter der Decke zurecht, ohne aufzuwachen. Langsam zog Nora sich aus und legte sich so dicht neben den kleinen warmen Körper, wie es nur ging. Während die Tränen wieder anfingen zu laufen, strich sie ihm über den weichen Bauch, der sich im Rhythmus seiner ruhigen Atemzüge hob und senkte, und starrte in die Dunkelheit.
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Kapitel 64
Freitag, vierte Woche
Kapitel 64
Als die Digitalziffern des Radioweckers 06:23 anzeigten, gab Nora den Versuch zu schlafen auf.
Simon lag zusammengerollt wie ein kleiner Ball neben ihr. Er hatte die Bettdecke zurückgestrampelt, aber seine Stirn war immer noch verschwitzt. Durch das offene Fenster sah Nora, dass der Himmel klar und blau war.
Es würde sicher wieder ein herrlicher Sommertag werden.
Aber die Nacht war furchtbar gewesen.
Sie hatte immer nur für kurze Momente geschlafen. Ihre Muskeln waren bis zum Zerreißen angespannt. Es war, als hätte sie die ganze Nacht stocksteif dagelegen, die Arme am Körper ausgestreckt wie in Habtachtstellung. Immer wieder war sie aufgewacht und, bevor ihr der Grund einfiel, von dem Schmerz in der Brust überrumpelt worden. Dann erinnerte sie sich an das katastrophale Gespräch mit Henrik, und sofort begannen die Tränen wieder zu fließen.
Zwischendurch hatte sie schreckliche Dinge geträumt, die darauf hinausliefen, dass sie und Henrik sich scheiden ließen. Das Haus musste verkauft werden, und die Kinder wurden aus ihrer Geborgenheit herausgerissen.
Der Verstand sagte ihr, dass es nur ein normaler Ehekrach war, aber ihr Körper wusste es besser.
Ihr ganzes gemeinsames Leben stand auf dem Spiel. Nicht mehr und nicht weniger.
Sie bohrte ihre Nase in Simons warmen Rücken und merkte, wie die Tränen wieder hervorquollen. Trotzdem brachte sein warmer Kleinkindgeruch sie unter den Tränen zum Lächeln. Was immer auch passieren mochte, sie hatte die Kinder.
Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken.
Heute würden sie nach Grönskär hinausfahren. Sie freute sich schon lange darauf, den Leuchtturm zu besuchen, der eine der bekanntesten Landmarken im ganzen Schärengarten war. Die Ausflüge, die der Inselverein organisierte, machten immer eine MengeSpaß, und diesmal wollten auch ihre Eltern und Signe mitkommen.
Aber wie sollte sie es schaffen, sich den ganzen Tag über zusammenzureißen? Falls ihre Mutter mitbekam, dass sie und Henrik sich gestritten hatten, würde sie die ganze traurige Geschichte erzählen müssen.
Das durfte nicht passieren, schon gar nicht, wenn die Kinder dabei waren.
Dann lieber nichts sagen und so tun, als sei alles in Ordnung. Merkwürdigerweise machte es ihr nichts aus, dass Signe Bescheid wusste. Nora bereute nicht, dass sie sich ihrer alten Nachbarin anvertraut hatte. Gestern Abend hatte sie wirklich jemanden zum Reden gebraucht. Außerdem war Signe keine, die ungebeten mit guten Ratschlägen kam.
Im Unterschied zu Noras Mutter.
Nora holte tief Luft und beschloss noch einmal, an etwas anderes zu denken. Henrik würde früh genug von seinem Segeltörn zurückkehren, und dann mussten sie versuchen, die Sache zu einem vernünftigen Ende zu bringen.
Bis dahin hieß es eben, auf Autopilot zu fliegen.
Das Schiff nach Grönskär würde um halb zehn ablegen. Es war ein gechartertes Boot von Sandhamns Båttaxi, das die vierzig Ausflügler auf die Insel bringen sollte. Sie sollten Proviant mitbringen und Decken zum Sitzen. Nach einer Wanderung um die Insel war ein gemeinsames Picknick auf den Klippen am Leuchtturm geplant.
Nora blickte auf die Uhr. Noch fast drei Stunden bis zur
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